Feuerkind
selbst ein wenig beunruhigt gewesen. Wenn John etwas verraten hätte, wäre er von ihnen vielleicht als Druckmittel gegen sie verwendet worden. »Ich habe schrecklichen Durst. Im Kühlschrank steht Eiswasser. Wollen Sie auch etwas?«
»Laß mich nicht allein«, sagte er sofort.
»Wir gehen zusammen. Wir können uns ja die Hände reichen.«
Er schien darüber nachzudenken. » Gut«, sagte er.
Sie hielten sich ganz fest an den Händen und schlurften gemeinsam zur Küche hinüber.
»Du darfst auch bestimmt nichts verraten, Kleine. Besonders nicht, daß ein riesengroßer Indianer sich vor der Dunkelheit fürchtet. Die Kerle würden sich über mich totlachen.«
»Sie würden nicht lachen, wenn sie wüßten –«
»Wer weiß.« Er lachte leise. »Aber lieber sollen sie es nicht erfahren. Wie bin ich froh, daß du hier warst, Kleine.«
Sie war so gerührt, daß sich ihre Augen wieder mit Tränen füllten. Sie nahm sich zusammen, und dann erreichten sie den Kühlschrank. Sie tastete nach dem Krug mit dem Eiswasser. Es war nicht mehr eiskalt, aber es löschte den Durst. Wieder überlegte sie voller Unruhe, wie lange sie wohl gesprochen hatte, aber sie wußte es nicht. Sie wußte nur, daß sie alles erzählt hatte.
Selbst was sie eigentlich verschweigen wollte, nämlich die Ereignisse auf der Mandersfarm. Leute wie Hockstetter wußten das natürlich alles, aber sie waren ihr gleichgültig. John aber war ihr nicht gleichgültig … und auch nicht seine Meinung über sie.
Aber sie hatte geredet. Er war mit ein paar Fragen gleich auf das Wesentliche zu sprechen gekommen … und sie hatte geredet, oft unter Tränen. Aber, statt weitere Fragen zu stellen oder sie mißtrauisch zu verhören, hatte er sich alles nur ruhig angehört, und sie empfand deutlich sein Mitgefühl. Er schien zu wissen, durch welche Hölle sie gegangen war, vielleicht, weil er selbst die Hölle erlebt hatte.
»Hier ist das Wasser«, sagte sie.
»Danke.« Sie hörte ihn trinken, und dann gab er ihr den Krug zurück. »Vielen Dank.«
Sie stellte das Gefäß weg.
»Komm, wir gehen ins Zimmer zurück«, sagte er. »Ich möchte wissen, ob das Licht überhaupt je wieder angeht.« Er schätzte, daß sie bisher etwa sieben Stunden im Dunkeln gesessen hatten, und er wurde langsam ungeduldig. Er mußte hier raus und über alles nachdenken. Nicht über das, was sie ihm erzählt hatte – das hatte er alles schon gewußt –, sondern darüber, wie er jetzt vorgehen sollte.
»Ich denke, das Licht wird bald wieder angehen«, sagte Charlie.
Sie tasteten sich zum Sofa vor und setzten sich.
»Haben sie dir denn überhaupt nichts über deinen Vater gesagt?«
»Nur, daß es ihm gutgeht«, sagte sie.
»Ich wette, ich könnte ihn mal besuchen«, sagte Rainbird, als sei ihm dieser Gedanke eben gerade gekommen.
»Wirklich? Glauben Sie, daß Sie das schaffen?«
»Ich könnte an irgendeinem Tag mit Herbie tauschen. Ihn besuchen. Ihm sagen, daß es dir gutgeht. Nein, nicht sagen, sondern ihm einen Zettel von dir zustecken oder so.«
»Wäre das nicht gefährlich?«
»Nur, wenn wir es zur Gewohnheit machen. Aber ich schulde dir eine Gefälligkeit. Ich werde hingehen und feststellen, wie es ihm geht.«
Sie fiel ihm in der Dunkelheit um den Hals und küßte ihn. Rainbird drückte sie zärtlich an sich. Auf seine Weise liebte er sie. Jetzt mehr als je zuvor. Sie gehörte ihm und er ihr wohl auch. Vorläufig.
Eine Weile blieben sie schweigend nebeneinander sitzen, und Charlie war kurz vor dem Einschlafen. Dann sagte er etwas, das sie so plötzlich weckte, als hätte man ihr kaltes Wasser ins Gesicht geschüttet.
»Scheiße, du solltest ihnen ihre verdammten Feuer anzünden wenn du kannst.«
Charlie zog scharf die Luft ein. Sie war so schockiert, als hätte er sie geschlagen.
»Ich habe es Ihnen doch gesagt«, antwortete sie. »Es ist, als ob man ein wildes Tier aus dem Käfig läßt. Ich habe mir geschworen, es nie wieder zu tun. Dieser Soldat am Flughafen … und die Männer auf der Farm … ich habe sie umgebracht … ich habe sie verbrannt!« Ihr Gesicht war heiß und gerötet, und sie wäre fast wieder in Tränen ausgebrochen.
»So, wie du es geschildert hast, klang es eher nach Notwehr.«
»Ja, aber das ist doch keine Entschuldigung –«
»Und es klang so, als hättest du deinem Vater das Leben gerettet.«
Charlie schwieg. Aber er spürte ihre Qual, ihre Verwirrung und ihr ganzes Elend. Er sprach rasch weiter, denn sie sollte sich nicht erst daran
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