Feuerkind
Ordnung war. Und wenn Daddy etwas sagte, stimmte es. Er war der klügste Mann der Welt.
Dann richtete sie ihre Gedanken auf die Gegenwart, und sie dachte über die Männer nach, von denen sie verfolgt wurden. Sie waren von der Regierung, hatte Daddy gesagt, aber von einem bösen Teil der Regierung. Sie arbeiteten für einen Teil der Regierung, den man »die Firma« nannte. Von diesen Männern wurden sie ständig verfolgt. Wo sie auch hinkamen, tauchten wenig später die Männer von der Firma auf.
Wie es ihnen wohl gefallen würde, wenn ich sie in Brand stecke? fragte etwas in ihr kalt, und schuldbewußt und entsetzt schloß sie ganz fest die Augen. Es war häßlich, so etwas zu denken. Es war böse.
Wenn man böse Gedanken hatte, mußte man dafür büßen.
Das hatte Deenie ihr gesagt.
2
Nur ganz allmählich wurde Andy wach, und nur vage nahm er das Plätschern der Dusche wahr. Zuerst war es Teil eines Traums: er war acht Jahre alt und mit seinem Großvater auf den Tashmore-See hinausgefahren. Er versuchte, einen zappelnden Regenwurm auf den Haken zu bekommen, ohne sich den
Haken in den Daumen zu bohren. Der Traum war unglaublich deutlich. Im Bug des Bootes sah er den zersplitterten Weidenkorb für die Fische, er sah die roten Gummiflicken an Großvater McGees alten grünen Stiefeln, er sah die abgewetzten alten Baseballhandschuhe an seinen Händen, und dabei fiel ihm ein, daß die zweite Mannschaft morgen in Roosevelt Field Training hatte. Aber jetzt war erst heute abend, und über ihnen hielten sich das letzte Tageslicht und die heraufziehende Dunkelheit in einem perfekten Zwielicht die Waage, und der See lag so ruhig, daß man die kleinen Wolken von Mücken und anderen Insekten über die Wasseroberfläche huschen sah, die die Farbe von Chrom hatte. Hin und wieder wetterleuchtete es … oder vielleicht waren es richtige Blitze, denn es regnete. Große Tropfen fielen auf Großvaters Kahn und färbten die verwitterten Planken dunkel. Dann hörte man die Tropfen auf das Wasser klatschen, ein seltsames zischendes Geräusch, wie – wie das Geräusch einer –
– Dusche, Charlie duscht.
Er öffnete die Augen und starrte gegen eine ihm gar nicht vertraute Balkendecke. Wo sind wir?
Stück für Stück kam die Erinnerung zurück, aber es gab einen Augenblick, da er ins Bodenlose zu stürzen glaubte. Entsetzen überfiel ihn. Er war im letzten Jahr zu oft an immer wieder anderen Orten gewesen, zu oft nur mit knapper Not seinen Verfolgern entkommen, und zu sehr hatte er ständig unter Druck gestanden. Sehnsüchtig wünschte er sich in seinen Traum und zu Großvater McGee zurück, der nun schon seit zwanzig Jahren tot war.
Hastings Glen. Er war in Hastings Glen. Sie waren in Hastings Glen.
Was war mit seinem Kopf? Er schmerzte, aber es war nicht mehr so schlimm wie gestern abend, als der bärtige Bursche sie abgesetzt hatte. Der Schmerz hatte sich in ein unangenehmes dumpfes Pochen verwandelt. Wenn es so war wie sonst, würde er heute abend nur noch einen leichten Druck spüren und morgen schmerzfrei sein.
Die Dusche war jetzt abgestellt.
Er richtete sich im Bett auf und sah auf die Uhr. Es war viertel vor elf. »Charlie?«
Sie kam ins Zimmer zurück und rieb sich dabei kräftig mit einem Handtuch ab.
»Guten Morgen, Daddy.«
»Guten Morgen. Wie fühlst du dich?«
»Ich habe Hunger«, sagte sie. Dann trat sie an den Stuhl, auf dem ihre Kleidung lag, nahm die grüne Bluse auf und roch daran. Sie verzog das Gesicht. »Ich brauche sauberes Zeug.«
»Dies muß noch eine Weile reichen, Kleines. Wir werden dir später ein paar Sachen besorgen.«
»Hoffentlich können wir wenigstens bald etwas essen.«
»Wir halten einen Wagen an«, sagte er, »und lassen uns vor dem nächsten Restaurant absetzen.«
»Daddy, als ich in die Schule kam, hast du mir gesagt, daß ich nie mit Fremden mitfahren darf.« Sie war schon in ihre Unterwäsche und die grüne Bluse geschlüpft und sah ihn fragend an.
Andy stand aus dem Bett auf, ging zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Der unbekannte Teufel ist manchmal besser als der bekannte«, sagte er. »Weißt du, was das bedeutet?«
Sie dachte angestrengt darüber nach. Der Teufel, den sie kannten, waren diese Männer von der Firma, sagte sie sich. Die Männer, von denen sie gestern in New York durch die Straßen gejagt worden waren. »Ich glaube, es bedeutet, daß die meisten Menschen, die im Auto vorbeifahren, nicht für diese Firma arbeiten.«
Er lächelte sie an.
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