Feuerklingen (First Law - Band 2)
unsichtbar – sie hing von der Steinplatte herab in der leeren Luft.
»Ssss«, zischte sie, die gelben Augen weit geöffnet, und die Finger suchten verzweifelt nach einem Halt an dem glatten Stein. Ein kleiner Gesteinsbrocken brach plötzlich von der gezackten Kante, und Logen hörte, wie er fiel und immer wieder auf die gemarterte Erde prallte.
»Scheiße«, flüsterte er und wagte kaum zu atmen. Welche Aussichten zu überleben hatte er wohl in dieser Lage, zur Hölle noch mal? Eins konnte man über Neunfinger-Logen sagen, nämlich, dass er wirklich Pech hatte.
Er tastete mit seiner freien Hand über den zernarbten Stein, bis er eine leichte Erhebung fand, an der er sich festhalten konnte. Dann schob er seinen Körper einen Fingerbreit nach dem anderen auf das Ende der Steinplatte zu. Er beugte den Arm und zog an Ferros Handgelenk.
Ein fürchterliches Knirschen ertönte, und der Stein unter ihm schwang mit einem Ruck nach oben. Logen stieß ein leises Wimmern aus und drückte sich wieder auf den Boden, als ob er die Bewegung damit aufhalten könnte. Es gab einen schrecklichen Ruck, und ein wenig Staub rieselte auf sein Gesicht. Stein kreischte und knirschte, als der Block ganz langsam wieder in die andere Richtung wippte. Er lag da und keuchte. Es war weder nach oben noch nach unten gegangen.
»Ssss!« Ferros Augen glitten zu ihren Händen, die einander fest an den Gelenken gepackt hatten. Sie warf den Kopf in den Nacken, um über die Steinkante sehen zu können, dann blickte sie in den gähnenden Spalt unter sich.
»Man muss realistisch sein«, flüsterte sie. Ihre Finger lockerten sich, sie ließ ihn los.
Logen erinnerte sich daran, wie er an einer Mauer gehangen hatte, hoch oben über einem Ring von gelbem Gras. Er erinnerte sich, wie er abgerutscht war und flüsternd um Hilfe gebettelt hatte. Er erinnerte sich, wie Ferros Hand die seine gepackt und ihn emporgezogen hatte. Langsam schüttelte er den Kopf und hielt ihr Handgelenk mit noch mehr Entschlossenheit fest.
Sie rollte ihre gelben Augen. »Dämlicher, blöder Rosig!«
Jezal hustete, wälzte sich herum und versuchte spuckend, den Staub aus dem Mund zu bekommen. Er sah sich blinzelnd um. Irgendetwas hatte sich verändert. Um ihn herum erschien alles größer als vorher, und der Abgrund war viel näher. Ziemlich nahe sogar, um genau zu sein.
»Oh«, hauchte er. Ihm fehlten die Worte. Die Hälfte des Gebäudes war eingestürzt. Die Rückseite stand noch, ebenso wie eine der Säulen weiter hinten, die jedoch zur Hälfte abgebrochen war. Alles andere war verschwunden, verschlungen von dem gähnenden Spalt. Jezal richtete sich stolpernd auf und zuckte zusammen, als er sein verletztes Bein belastete. Bayaz lag in halb aufgerichteter Haltung gegen die nächste Wand gelehnt.
Das zerfurchte Gesicht des Magus war schweißüberströmt, die hellen Augen glänzten in dunklen Höhlen, die Wangenknochen traten stark unter der gedehnten Haut hervor. Er sah tatsächlich aus wie eine gut eine Woche alte Leiche. Es war überraschend, dass er sich überhaupt bewegte, aber Jezal sah, wie er mit einer steifen Handbewegung auf die Spalte deutete. »Rettet sie«, krächzte er.
Die anderen.
»Hier drüben!« Neunfingers Stimme erscholl von irgendwo hinter der Abbruchkante und klang seltsam erstickt. Also war er am Leben, das war schon einmal etwas. Eine große Bodenplatte ragte in einem seltsamen Winkel vor ihm auf, und Jezal bewegte sich vorsichtig darauf zu und fürchtete dabei, dass jeden Augenblick der Boden unter ihm nachgeben konnte. Er sah hinunter in die Kluft.
Der Nordmann lag ausgestreckt auf dem Bauch und hatte sich mit der linken Hand am oberen Rand des kippenden Steinblocks festgekrallt, während seine rechte Faust am unteren fest Ferros Handgelenk gepackt hielt. Ihr Körper war nicht zu sehen, nur ihr vernarbtes Gesicht. Ihnen beiden stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Ein paar Tonnen Stein schaukelten sanft hin und her, auf Haaresbreite austariert. Es war klar, dass sie jeden Augenblick in die Tiefe stürzen konnten.
»Tu was«, flüsterte Ferro, die es noch nicht einmal wagte, die Stimme zu heben. Jezal bemerkte allerdings, dass sie keinen genaueren Vorschlag dazu machte, wie er was anstellen sollte.
Er leckte sich über die Kerbe in seiner Lippe. Wenn er sein Gewicht auf dieses Ende der Steinplatte setzte, vielleicht würde sie dann wieder in eine ebene Position schwingen, und sie könnten beide einfach herunterklettern? Konnte es
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