Feuerklingen (First Law - Band 2)
wirklich so einfach sein? Er beugte sich vor, rieb nervös mit den Daumen über die Fingerspitzen und fühlte sich plötzlich ganz schwach; ihm brach der Schweiß aus. Sanft legte er seine Hand auf die abgesplitterte Kante, während Neunfinger und Ferro ihm mit aufgerissenen Augen zusahen und den Atem anhielten.
Er übte ein ganz kleines bisschen Druck aus, und die Platte begann sofort widerstandslos nach unten zu kippen. Er verstärkte den Druck. Es gab ein lautes Knirschen, und der ganze Steinblock bewegte sich mit einem entsetzlichen Ruck.
»Verdammt, nicht dran schieben!«, schrie Neunfinger und krallte sich mit den Fingernägeln an dem glatten Stein fest.
»Was denn dann?«, quiekte Jezal.
»Hol was!«
»Irgendwas!«, zischte Ferro.
Jezal sah sich wilden Blickes um und konnte nichts entdecken, das in dieser Lage hilfreich gewesen wäre. Von Langfuß und Quai war nichts zu sehen. Entweder lagen sie tot am Boden des Spalts, oder sie hatten sich rechtzeitig in die Freiheit abgesetzt. Beides hätte ihn nicht besonders überrascht. Wenn aber nun jemand gerettet werden sollte, dann musste Jezal das wohl selbst in die Hand nehmen.
Er zog seinen Mantel aus und begann ihn aufzudrehen, um eine Art Seil daraus zu machen. Skeptisch wog er das Kleidungsstück in der Hand und schüttelte den Kopf. Das würde sicherlich nicht klappen, aber gab es eine andere Möglichkeit? Er streckte es von sich und schwang dann ein Ende nach vorn. Es klatschte ein paar Zoll neben Logens festgekrallten Fingern gegen den Stein und wirbelte eine kleine Staubwolke auf.
»Schon gut, schon gut, versuch es noch einmal!«
Jezal hob den Mantel über den Kopf, beugte sich so weit über die Steinplatte, wie er sich traute, und ließ ihn wieder nach unten schwingen. Ein Ärmel löste sich und rutschte nahe genug heran, dass Logen ihn greifen konnte.
»Ja!« Er wand sich den Stoff um den Arm, während sich der Mantel straff über die Kante des Steinblocks spannte.
»Ja! Jetzt zieh!«
Jezal biss die Zähne zusammen und zog. Seine Stiefel rutschten auf dem dreckigen Boden weg, und sein Arm und sein Bein, von der Verletzung noch geschwächt, schmerzten. Der Mantel kam auf ihn zu, ganz, ganz langsam rutschte er über den Stein, ein quälender Zoll nach dem nächsten.
»Ja!«, grunzte Neunfinger, der seine Schultern über die Steinplatte schob.
»Zieh!«, knurrte Ferro, die jetzt mit den Hüften über die Kante und auf den Stein kletterte.
Jezal zog so fest er konnte, die Augen vor Anstrengung fast ganz zusammengekniffen, und der Atem schoss zischend durch seine Zähne. Ein Speer klapperte neben ihm auf den Boden, und als er aufsah, entdeckte er, dass sich zwanzig oder mehr Plattköpfe auf der anderen Seite des großen Spalts zusammenrotteten und mit ihren missgestalteten Armen wedelten. Er schluckte und sah in eine andere Richtung. Er konnte es sich jetzt nicht leisten, über die Gefahr nachzudenken, in der sie sich befanden. Er musste nur ziehen. Ziehen, ziehen und nicht loslassen, egal, wie weh es tat. Und es klappte. Langsam, ganz allmählich tauchten die beiden auf. Jezal dan Luthar, endlich ein Held. Endlich würde er sich seinen Platz in dieser verfluchten Unternehmung verdient haben.
Ein scharfes Knacken und Reißen war zu hören. »Scheiße«, kreischte Logen. »Scheiße!« Der Ärmel löste sich allmählich vom Rest des Mantels, die Naht platzte auf, riss aus. Jezal wimmerte vor Entsetzen. Seine Hände brannten. Sollte er weiter ziehen oder nicht? Wieder öffnete sich ein Stich. Wie stark durfte er ziehen? Noch ein Stich gab nach.
»Was soll ich tun?«, quiekte er.
»Zieh, du Arschloch!«
Jezal zerrte so fest er konnte an dem Mantel. Seine Muskeln brannten. Ferro war auf den Stein geklettert und versuchte mit ihren Nägeln irgendwie Halt an der glatten Fläche zu finden. Logens Hand hatte beinahe die Abbruchkante erreicht, fast berührte sie sie schon, und seine drei Finger streckten und streckten sich. Jezal zog noch einmal …
… und er fiel nach hinten und hielt nur noch ein schlaffes Stück Tuch in der Hand. Die Platte erschauerte, stöhnte und kippte nach vorn. Ein kurzer Aufschrei war zu hören, und Logen rutschte weg, den abgerissenen Ärmel noch in der Hand. Es gab keine Schreie. Nur das Prasseln herabfallender Steine, das war alles. Sie beide waren verschwunden, abgestürzt. Die große Steinplatte wippte langsam zurück und lag da, flach und leer, am Rand des Abgrunds. Jezal stand da, der Mund offen, den ärmellosen
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