Feuermale
Dummheit.
»Ich hatte tatsächlich ein paar Fortschritte bei ihr gemacht.
Ich hätte bleiben sollen.«
»Wann hast du sie denn abgesetzt?«
»Ich weiß es nicht. Es muß nach acht gewesen sein. Sie hat mir am späten Nachmittag von dem Freier im Park erzählt, aber dann hat sie sich geschämt und war durcheinander, ich wollte sie nicht bedrängen. Ich bin zum Essen mit ihr ins City Center, auch damit sie ein bißchen einkaufen konnte.«
»Lieutenant Fowler hat ein bißchen Kohle für sie locker gemacht?«
Kate schnitt eine Grimasse und winkte ab. Das Geld stammte aus ihrer eigenen Tasche, aber das spielte keine Rolle. »Dann hab ich sie zurück hierher gebracht.«
Wie Angie immer stiller geworden war, je näher sie dem Phoenix kamen. In ihre harte Schale zurückgekrochen war. Und ich hab sie gelassen, dachte Kate.
»Ich hab sie abgesetzt und bin weitergefahren zu der Versammlung, um euch Bescheid zu sagen – oh, Scheiße, ich hätte bleiben sollen.«
»Wer war sonst noch da, als du sie abgesetzt hast?«
»Gregg Urskine – aber er wollte auch zu der Versammlung und eine andere Frau. Ich weiß nicht, wer. Ich hab sie nicht gesehen. Gregg hat mir gesagt, sie wäre da. Ich wollte nicht, daß Angie allein ist.«
Es war zu einfach, sich Angie in diesem großen alten Haus vorzustellen, praktisch allein. Falls Smokey Joe
irgendwie erfahren hatte, wo sie war… Seine drei Opfer waren ohne eine Spur von Widerstand verschwunden. Sie waren schlicht und einfach weg gewesen. Und Angie DiMarco behauptete, sie könnte ihn identifizieren.
So schnell, so einfach war das Mädchen fort. Eine leichtsinnige Entscheidung…
»Ich hab’s vermasselt, und jetzt haben wir sie verloren.«
Kate wußte, daß die Emotionen, die sie plötzlich überrollten, völlig überzogen waren, aber es fiel ihr schwer, sie zurückzuhalten. Ihr war ein bißchen übel, etwas schwindlig. Der Nachgeschmack von Gin, wie Metall in ihrem Mund.
Sie spürte, wie Quinn sich hinter sie stellte, wußte, daß er da war, ohne sich umzudrehen. Ihr Körper schwang noch immer mit seinem. Ein beunruhigender Gedanke: daß die körperliche Anziehungskraft in all den Jahren nicht verblaßt war.
»Es ist nicht deine Schuld, Kate«, sagte er leise.
Er legte eine Hand auf ihre Schulter, sein Daumen fand blind den Spannungsknoten in ihrem Trapezius und rieb ihn auf eine alte, vertraute Art. Zu vertraut. Zu tröstlich.
»Es spielt jetzt keine Rolle«, sagte sie und wandte sich steif ab. »Das einzig wichtige ist, sie zu finden. Also fangen wir an zu suchen.«
Sie gingen nach oben in das Zimmer, das Angie mit einer anderen Bewohnerin des Phoenix House geteilt hatte. Die Wände waren in einem ekligen Gelb gestrichen, die alten Holzeinbauten dunkel vor Alter und Lackschichten. Wie im ganzen Haus paßten die Möbel nicht zusammen und waren schlecht proportioniert.
Auf Angies Bett ein Wust ungemachter Laken. Mitten in dem Chaos lag die Einkaufstüte von ihrem Ausflug ins City Center, aus der Seidenpapier quoll. Die Jeans und der Pullover, den sie gekauft hatte, waren nirgends zu sehen.
Ebensowenig der schmutzige Rucksack, was darauf schließen ließ, daß das Mädchen aus eigenem Entschluß abgehauen war.
Auf dem Nachttisch neben der billigen Glaslampe stand die winzige Figur eines Engels.
Kate nahm ihn hoch und sah ihn an: ein drei Zentimeter hohes Tonfigürchen, das sie für fünf Dollar von einer Navajo Frau auf der Plaza von Santa Fe gekauft hatte. Sie hatte der fünfjährigen Enkelin der alten Frau einen extra Dollar zugeschoben, weil sie ihr das Püppchen sorgfältig in Seidenpapier eingewickelt hatte, die kleine Stirn gerunzelt von der Konzentration auf diese wichtige Aufgabe. Während sie das kleine Mädchen beobachtete, hatte sie an Emily gedacht und zu ihrer großen Beschämung fast angefangen zu weinen.
»Weißt du etwas darüber?« fragte Quinn leise und stand ihr schon wieder zu nahe.
»Klar. Sie hat ihn heute von meinem Schreibtisch gestohlen.«
Sie berührte den goldbemalten Heiligenschein auf dem dunklen Kopf des Engels. »Ich hab eine Sammlung von Schutzengeln. Ironisch, was? Ich glaube nicht wirklich an sie. Wenn es so etwas wie Schutzengel gäbe, dann hätten du und ich keine Arbeit, und ich hätte meine Tochter nicht verloren, und es gäbe keine Kinder, die Leben wie das Angies leben. Dumm«, sagte sie und rieb die Flügel des Engels behutsam zwischen ihren Fingern. »Aber ich wünschte, sie hätte ihn mitgenommen.«
Die Figur entglitt
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