Feuermohn
und hob einen imaginären Hut. „Gestatten … Joe!“
Er lächelte, warf einen wachen Blick auf ihre im Schoß verkrampften Hände.
„Probieren Sie mal.“ Er hielt ihr einen Federkiel hin, schob ein Tintenglas und ein Stück Pergament zu ihr rüber. „Es müssen ja nicht gleich Hieroglyphen sein. Berufen Sie sich zunächst auf die modernen Buchstaben. Bekommen sie ein Gefühl für das Werkzeug. Die gute alte Handschrift verkümmert mehr und mehr. Eine Schande ist das. In der Antike war die Fähigkeit zu schreiben so wertvoll, dass ein ganzer Berufsstand – die Schreiber – davon lebte. Heute wird lieblos in die Tastatur gehauen, ja selbst Briefe werden nicht mehr per Hand geschrieben.“
Sie nahm das Schreibgerät entgegen, öffnete das Tintenglas, tauchte die Feder ein. Gehemmt setzte sie die Spitze auf das Papier, warf ihre störenden Gedanken dann über Bord und begann einen Vers, den sie erst kürzlich gelesen und für gut befunden hatte. Es war ungewohnt, mit Feder und Tinte zu schreiben. Zumal auch sie zu denjenigen gehörte, die höchstens noch ihre Unterschrift per Hand setzten.
Doch dann war sie fertig. Ihre Wangen glühten, die Augen strahlten. Sie mochte den Mann, seine Ausstrahlung, die Atmosphäre dieses Raumes.
Unter Joes geduldiger Anleitung probierte sie unterschiedliche Federkiele und wagte sich sogar an die altdeutsche Schrift. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Irgendwann schmerzte ihr Nacken von der ungewohnten Haltung. Als die alte Pendeluhr 19 Mal schlug, verabschiedete sie sich von dem Schreiber und freute sich über sein Angebot, jederzeit wiederkommen zu dürfen.
Auf dem Weg zu ihrem Zimmer lief sie Franziska über den Weg. „Da bist du ja. Ich habe den Auftrag, dich zu suchen. Möchtest du das Dinner zusammen mit den anderen im Salon einnehmen oder lieber auf deinem Zimmer? Du hast die Wahl! Die Küche und das Personal müssen es nur rechtzeitig wissen.“
Anna entschied sich für ihr Zimmer. Sie erfuhr, dass gut ein Dutzend Gäste geblieben waren. Wie immer nach einem Event wie dem Mohnball. Hauptsächlich Frauen, die auf vergnügliche Stunden mit Aaron hofften.
Auf dem Weg zu ihrem Zimmer warf sie einen Blick in den Saal, wo das Dinner serviert wurde. Stimmengewirr war zu hören, Lachen, Gläserklirren. Als sie die große Runde sah, die an dem reich gedeckten Tisch saß, war sie froh, sich für ihr Zimmer entschieden zu haben. Viele Frauen saßen um den Tisch, eine schöner als die andere, lachten, plauderten und kokettierten.
Anna fühlte sich mit einem Mal befangen. So etwas wie Eifersucht kroch in ihr empor. Waren das alles Frauen, mit denen Aaron sich vergnügte? Sie hielt sich krampfhaft an dem glänzenden Geländer fest, stieg die Stufen empor und war froh, als sie das Zimmer erreicht hatte.
Das Dinner war köstlich. Hähnchenbrust an Pistazien-Limettensauce mit hausgemachten Nudeln. Zum Dessert gab es eine Weinschaumcreme. Anna aß mit Genuss, machte es sich in der Sitzecke, die sich in einem Erker genau vor dem Fenster befand, gemütlich und genehmigte sich ein Gläschen Weißwein. Die Flasche stand gut gekühlt in einem Champagnerkübel … ließ Hoffnung in ihr aufkeimen, noch an diesem Abend Gesellschaft von Aaron zu bekommen.
Sie wollte es selbst kaum glauben, aber sie hatte schon jetzt Sehnsucht nach ihm. Dabei war ihr Beisammensein erst ein paar Stunden her. Allein der Gedanke an ihn ließ ihren Magen kribbeln.
Zeit zur freien Verfügung, bis er nach mir verlangt …
Anna seufzte. Wünschte sich sehnlichst, dies möge so bald wie möglich der Fall sein.
Nervös lief sie wie ein Tiger im Käfig auf und ab. Sie suchte das Badezimmer auf, testete ein paar Düfte, die für sie bereitgestellt worden waren und tropfte sich etwas Parfum-Öl hinter die Ohren. Sie bürstete ihre Haare, bis sie knisterten, putzte sich die Zähne.
Stunden sehnsuchtsvollen Wartens vergingen. Geistesabwesend blickte sie aus dem Fenster, beobachtete den Mond, der behäbig seine Bahn zog und die Umgebung in silbernes Licht tauchte. Anna schien in einem Meer aus Erwartung und zunehmender Langeweile zu versinken. Ein weiteres Gläschen Wein …
Sie schloss für einen Moment die Augen. Sofort schob sich Aarons Gestalt vor ihr inneres Auge.
Mit dem Glas in der Hand trat sie auf den Balkon hinaus, ließ sich in die weichen Kissen eines Liegestuhls fallen. Süßer Blütenduft hing in der Luft, Grillen zirpten. Es war windstill. Der Himmel war über und über mit Sternen besät, der Abend
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