Feuernacht
hatte, aber darauf konnte man nicht vertrauen. Oder sie kaufte einen gebrauchten Bildschirm bei Jósteinn. Sie schüttelte sich. Nein, lieber bezahlte sie den vollen Preis, als mit dem Mann in Verhandlungen zu treten. Nachdem sie sich die Tatbestände seiner Vergehen näher angeschaut hatte, fand sie ihn noch widerwärtiger. Dóra schaltete den Computer aus und ging zum Empfang, um sich einen Kaffee zu holen, hatte aber keine besondere Eile, denn es war nach wie vor nur Instantkaffee im Angebot. Sie hatte trockene Augen, da sie viel zu lange über dem Urteil und den Unterlagen zu Jósteinns Fall gebrütet hatte. Gestern Abend hatte sie nicht mehr alles geschafft. Stattdessen hatte sie Zeit mit ihrer Familie verbracht und Sóley bei einem Aufsatz in Englisch geholfen, bei dem sie etwas über sich selbst erzählen sollte. Sóley war begeistert, dass so viele Personen im Haus wohnten, und die Aufzählung ging über mehrere Zeilen, wobei der Katze die Ehre zuteilwurde, als Erste genannt zu werden. Sóley schrieb weiter, sie hätte jedes zweite Wochenende einen Papa, der hätte aber eine neue Frau, die jünger sei als ihre Mama. Dóra beschloss, Sóley freie Hand zu lassen, obwohl sie ihr am liebsten gesagt hätte, dass
jünger
auf Englisch
uglier
heißt. In diesem Stil ging es weiter, bis die verlangten zwei Seiten vollgeschrieben waren. Anschließend hatte Dóra keine Lust mehr, Jósteinns Prozessunterlagen zu lesen, und dachte für den Rest des Abends keine Sekunde mehr an ihn oder Jakob.
»Gibt’s keinen Kaffee mehr?« Dóra stand mit ihrer Tasse vor dem Wasserkocher und der leeren Nescafé-Dose. »Was soll ich jetzt machen? Tee trinken? Du hättest mir ja wenigstens Bescheid sagen können, dann wäre ich noch bei einem Laden vorbeigefahren.«
»Gestern Abend war der Kaffee noch nicht leer. Ich hab heute Morgen den Rest getrunken.« Bella starrte weiter auf ihren Bildschirm – dem Geräusch nach zu urteilen schaute sie gerade einen Film auf YouTube. Ebendieser Bildschirm veranlasste Dóra, stehen zu bleiben und sich zu beherrschen. Das schwarze Monstrum sah genauso aus wie ihres und war genauso alt. Hochzufrieden ging sie schweigend in den Flur, mit der leeren Tasse in der Hand und dem Vorsatz, den Bildschirm zu tauschen, wenn Bella nach Hause gegangen war. Als sie an Bragis offener Bürotür vorbeikam, grinste sie immer noch.
»Viel zu tun, wie ich sehe.« Sie nickte in Richtung der Papierstapel rechts und links von ihm. Bragi war ein fleißiger Kopierer und Sammler von Unterlagen und warf nie etwas weg. Dóras Vorschläge, Bella die alten Unterlagen einscannen und in elektronischer Form archivieren zu lassen, beantwortete er stets auf dieselbe Weise: Er würde mal darüber nachdenken. Dóra hörte allerdings nie etwas über das Ergebnis seiner Überlegungen, beharrte aber auch nicht darauf, da Bella beim Scannen aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin großes Chaos anrichten würde.
»Auf dem Scheidungsmarkt ist die Hölle los. Der Zusammenbruch der Banken rüttelt nicht nur die Finanzbranche auf.« Er notierte etwas und blickte dann auf. »Und wie läuft dein Fall? Ich habe gestern mal bei dir reingeschaut, aber da warst du nicht da.«
»Ach.« Dóra betrat sein Büro und setzte sich. »Da war ich bestimmt im Krankenhaus. Ich habe mit Jakob und einem Mädchen gesprochen, das eine Zeitlang im Heim gewohnt hat. Ich habe sogar schon mit meinem Bericht für den Antrag auf Wiederaufnahme angefangen. Es fügt sich langsam alles zusammen.«
»Was meinst du, wie es laufen wird?«
»Hoffentlich gut. Es fehlen nur noch ein paar Details, damit ich eindeutig beweisen kann, dass der Fall nicht ordentlich abgewickelt wurde. Ich stolpere andauernd über neue Informationen, die nicht berücksichtigt wurden. Die Eile, mit der der Fall abgehandelt wurde, ist völlig unverständlich, und die Verteidigung war wirklich schlecht. Es läppert sich also, und man muss aufpassen, sich nicht zu verzetteln.« Sie stellte die Tasse auf den Schreibtisch. »Ich wäre schon viel weiter, wenn ich mir nicht auch noch den Fall dieses Mannes angeschaut hätte, der die Wiederaufnahme finanziert. Es hat sich rausgestellt, dass dieser Trottel, der Jakob verteidigt hat, auch Jósteinns Anwalt war, und ich habe die Vermutung, dass sich Jósteinn an ihm rächen will. Und der Anwalt ist auch noch mit einem der verstorbenen Heimbewohner verwandt, was er Jakob und dem Richter nicht gesagt hat, obwohl er das behauptet. Das Oberste Gericht hat mir
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