Feuernacht
zusammenzurechnen. Meistens warf er die Briefe mit den Kontoauszügen ungeöffnet weg, rief bei den Kartenfirmen an, ließ alle Karten einfrieren und traf eine Übereinkunft zur Zahlung monatlicher Raten, bis sämtliche Schulden beglichen waren. Das dauerte ewig, und nach dem Fall der Krone war sein Kreditkartenlimit noch schneller erreicht als vorher. Wobei das Spielen wegen des Kurses zur Zeit ja so verdammt spannend war – schließlich spielte er nicht, um zu verlieren, sondern um zu gewinnen, und die Gewinne waren jetzt fast doppelt so hoch.
Aris Zahnpastatube war schon seit einiger Zeit leer, und er hatte sich die Zähne mit Wasser putzen müssen. Sein Atem war schal. Die paar Kronen, die er noch hatte, mussten für Lebensmittel und Zahnpasta reichen, bis irgendeine ausstehende Rechnung bezahlt wurde. Das konnte nicht mehr lange dauern. Er hatte sein restliches Geld auf seine Kreditkarte überwiesen, um sein Limit wieder zu aktivieren, aber die Frau von der Kreditkartenfirma hatte ihm gesagt, dass eine solche Überweisung erst nach einem Tag aktiviert würde. Das war zu lang, wenn man gerade eine Glückssträhne hatte. Die gab es nur selten, und sie waren immer kurz. Deshalb war ihm der große Jackpot wieder mal durch die Lappen gegangen. Er war zwar enttäuscht, aber seine Pechsträhne und die Verluste der letzten Tage waren derzeit nicht sein größtes Problem. Da gab es noch ein anderes. Sollte er diese Dóra anrufen? Der Frust, der in solchen Situationen immer über ihn kam, hatte seinen Höhepunkt erreicht, und er konnte einfach keine schlechten Nachrichten mehr ertragen.
Was wollte diese Frau von ihm? Wohl kaum noch mehr Unterlagen und bestimmt keinen guten Rat. Nein, sie wollte ihn wahrscheinlich etwas Unangenehmes fragen, zum Beispiel, warum er Jakob nicht vernünftig verteidigt hatte. Wenn man einen Blick in die Unterlagen warf, sah man sofort, dass er sich nur halbherzig engagiert hatte. Und das wollte er auf keinen Fall bis ins kleinste Detail mit dieser selbstgefälligen Schnepfe durchgehen. Sie hätte an seiner Stelle auch keinen besseren Job gemacht – immerhin war es nicht leicht, sich zu konzentrieren, wenn das ganze Leben über einem zusammenbrach. Natürlich war er vor Gericht manchmal nachlässig, aber das fiel unter höhere Gewalt, nicht vorhersehbare Umstände, die es ihm unmöglich machten, seine Pflicht gegenüber seinem Mandanten auszuüben. In diesem Fall hatte es sich nicht um Naturgewalten, sondern um einen Krieg gehandelt: den finalen Kampf in seinem Privatleben. Seine Frau hatte ihn verlassen. Sie hatte die Nase voll gehabt von der kleinen Wohnung, die sie gegen das schicke Einfamilienhaus eintauschen mussten, das für die Schulden draufgegangen war. Sämtliche Versuche, sie zurückzuholen, waren vergeblich gewesen. Ari hatte seine ganze Überzeugungskraft für die Telefongespräche mit ihr gebraucht, und als Jakob dann an die Reihe gekommen war, war einfach keine Energie mehr übrig gewesen. Natürlich hätte er den Fall ablehnen sollen. Aber er hatte das Geld wirklich gut gebrauchen können, außerdem fiel es ihm schwer, eine Bitte auszuschlagen. Er war fest davon überzeugt gewesen, dass das Verfahren schnell abgeschlossen wäre und er bald bezahlt würde. Das hatte zwei Gründe: Erstens wollten die Behörden den Fall so schnell wie möglich durch den Medienzirkus bringen, und zweitens wusste niemand, was man mit dem behinderten Angeklagten bis zur Urteilsverkündung machen sollte.
Wer hätte den Fall schon abgelehnt und nicht versucht, ihn schnell abzuwickeln? Der Mandant war nicht wirklich in der Lage, sich zu beschweren, aber auch keine große Hilfe. Er schwadronierte ständig über Engel und Koffer und allen möglichen Unsinn, den man nicht ernst nehmen konnte. Außerdem wussten alle, wie die Verhandlung ausgehen würde: Schuldspruch, aber Schuldunfähigkeit. Den Richtern musste man das gar nicht groß vorkauen, es reichte, dass sie den Angeklagten sahen. Er hatte gestanden, das Geständnis wieder zurückgenommen und dann wieder gestanden. Der Fairness halber sollte gesagt sein, dass die Meinung des Staatsanwalts ganz der Meinung der Verteidigung entsprach. Alle zogen die Sache schnell durch, zumal es keinen Grund gab, das Leiden des armen Kerls, der zitternd und mit großen Augen das Geschehen verfolgte, noch hinauszuzögern.
Dieser Rückblick ermutigte Ari, und er nahm das Telefon in die Hand. Unangenehmes erledigte man besser sofort. Ohne weiter nachzudenken,
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