Feuernacht
Stoßstangen und suchten nach Kratzern. Die Geduld der anderen Autofahrer wurde auf eine harte Probe gestellt. Das wilde Hupen erinnerte an eine moderne Symphonie, erst erklangen nur einzelne Töne, die dann immer ungehaltener wurden, bis der Lärm zu einer einzigen Disharmonie geworden war. Wegen des Lärms auf der Straße hätte Dóra fast das Telefon überhört.
»Hallo?«
»Hi«, sagte Matthias, ungewöhnlich aufgeregt, »warst du schon im Internet?«
»Nein, seit heute Morgen nicht mehr. Was gibt’s?«
»Der Name des Toten aus der Nauthólsvík-Bucht wurde bekanntgegeben. Der mit dem Handy.«
Dóra presste den Hörer ans Ohr. »Und? Ist es Margeir?« Sie hangelte sich mit der kurzen Telefonschnur am Schreibtisch vorbei zu ihrem Stuhl.
»Nein.« Matthias zögerte, wahrscheinlich suchte er den Namen auf dem Bildschirm. »Er heißt Bjarki, Bjarki Emil Jónasson.«
»Bjarki?« Dóra setzte sich und öffnete den Internetbrowser. »Soll das ein Witz sein?«
»Nein, natürlich nicht. Warum?«
Dóra antwortete nicht direkt und suchte nach der Meldung. »Das muss derselbe Bjarki sein, den Ragna uns gezeigt hat.«
»Deshalb rufe ich ja an!«
Dóra dankte ihm geistesabwesend, während sie die Meldung überflog. Darin stand nicht viel mehr, als dass der Tote identifiziert worden sei, sein Name, sein Alter und dass er ledig und kinderlos war.
Wieder klingelte das Telefon, und Dóra nahm den Hörer ab, ohne ihren Blick vom Bildschirm zu lösen. »Was ist?« Sie dachte, es sei Matthias, der noch etwas hinzufügen wollte.
»Äh … ich heiße Lárus, von der Telefongesellschaft Síminn, spreche ich mit Dóra Guðmundsdóttir?«
»Entschuldigung, ich dachte, es wäre jemand anders. Ja, ich bin Dóra.«
»Ich rufe wegen deiner Anfrage zu einer IP -Nummer an, wegen der SMS - und MMS -Mitteilungen über unser Netz.«
»Ach ja, das hatte ich ganz vergessen. War es möglich, die Nummer rauszukriegen?« Sie schaute vom Bildschirm auf und konzentrierte sich auf das Gespräch. Ob sie jetzt endlich erfahren würde, wer ihr die Mitteilungen geschickt hatte? Dóra machte sich keine großen Hoffnungen, wahrscheinlich hatte die Person in einem Internetcafé oder einer Bücherei gesessen.
»Ja, die haben wir rausgekriegt, ich könnte sie dir mailen, das wäre am einfachsten.«
»Sehr gerne.« Dóra gab ihm ihre E-Mail-Adresse. »Und wie finde ich dann raus, wo sich diese IP -Nummer befindet?«
»Das schreibe ich dazu, der Computer ist bei den Behörden registriert.«
»Was?« Ob doch jemand bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft hinter der Sache steckte? »Könntest du etwas genauer sein?«
»Ja, entschuldige, der Computer ist beim Justizministerium registriert.«
32 . KAPITEL
MITTWOCH ,
20 . JANUAR 2010
Dóra sprang ins Auto und zog die Tür zu. Matthias hatte mitten auf der Straße angehalten, um sie reinzulassen, und sie wollte keinen weiteren Stau auf dem Skólavörðustígur verursachen. »Wohin soll ich fahren?«
»Justizministerium.« Sie erklärte ihm grob den Weg. »Ich will mit Tryggvis Vater reden. Keine Ahnung, welche Absichten er hat, aber er muss hinter den merkwürdigen Mitteilungen stecken.«
»Was glaubst du, was er sagen wird?«
»Keine Ahnung, aber es wird auf jeden Fall spannend. Ich habe schon überlegt, ob er nach dem Tod seines Sohnes einfach durchgedreht ist. Die Sache ist total unlogisch, wenn er mir hätte helfen wollen, wäre es einfacher gewesen, direkt mit mir zu sprechen.« Sie zeigte Matthias, wo er abbiegen musste. Der Verkehr wurde dichter, und sie kamen nur langsam vorwärts. »Es gibt außer ihm niemanden im Justizministerium, der in die Sache verwickelt sein kann, es sei denn, ein Mitarbeiter will ihm aus irgendeinem Grund eins auswischen. Aber woher sollte der die ganzen Infos haben?«
Sie schwiegen für den Rest der Fahrt, und Matthias konzentrierte sich auf das Gewirr von Einbahnstraßen in der Innenstadt, die bei Schneefall noch schwerer passierbar waren. Die Fußgänger eilten vorbei, und keiner ließ sich Zeit, in die Schaufenster zu schauen, bis auf eine Frau unbestimmten Alters mit halblangem Haar in einem Lammfellmantel, die stehen geblieben war, um in einem Schuhgeschäft Winterschuhe anzuschauen, während ihr Hund eifrig die Hausecke beschnupperte. Im Skuggasund schien die gesamte Bevölkerung gegen die Kälte zu protestieren und vor dem Schneeregen in die Häuser geflüchtet zu sein. Es gab sogar genug Parkplätze vor dem Ministerium. Die leeren Straßen
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