Feuernacht
wählte er Dóras Nummer. »Ja, hallo, hier ist Ari. Du hast versucht, mich zu erreichen?«
»Ja, grüß dich.« Dóra klang weit weg, und man konnte hören, dass sie im Auto saß.
»Fährst du gerade? Vielleicht rufe ich besser später noch mal an …«
»Nein, leg nicht auf. Ich hab total oft versucht, dich zu erreichen, außerdem fahre ich nicht selbst.«
»Geht’s um was Bestimmtes?«
»Ja, allerdings. Ich bin da auf etwas Interessantes gestoßen und wollte dich fragen, ob du mir das vielleicht erklären kannst.«
»Aha?« Ari spürte, wie seine Hände anfingen zu schwitzen.
»Eigentlich geht es um zwei Dinge. Das eine ist die familiäre Verbindung zwischen dir und Einvarður, dem Vater des verstorbenen Tryggvi.«
Ari schwieg, schloss die Augen und leckte sich über die trockenen Lippen. »Ja, wir sind entfernt verwandt, aber das tut nichts zur Sache.«
»Hast du den Richter darüber informiert? Und Jakob? Ich habe keinen Eintrag darüber gefunden.«
»Ja, vermutlich.« Ari schluckte und hatte auf einmal einen ganz trockenen Mund. »Doch, ich glaube, das habe ich gemacht.«
»Verstehe.« Jetzt schwieg Dóra einen Moment. »Dann finde ich bestimmt einen Eintrag beim Amtsgericht. Du weißt ja, dass du verpflichtet bist, deinen Mandanten über alles zu unterrichten, was Einfluss auf deine Einstellung zur gegnerischen Partei haben könnte. Verwandtschaftliche Beziehungen werden dabei besonders hervorgehoben, steht auch in Paragraph 33 des Gesetzes über den Umgang mit Strafprozessen, Artikel vier, wie du sicher weißt.«
»Ja, ja, ich habe das klargestellt, ganz sicher, glaube ich.« Ari räusperte sich. »Was war die andere Sache, über die du mit mir reden wolltest?«
Dóra glaubte dem Mann kein Wort, aber es war ein Leichtes, ihm seine Lüge nachzuweisen. »Ich bin mir nicht sicher, ob du das wirklich beantworten kannst, aber der Mann, der die Kosten für die Wiederaufnahme übernimmt, scheint auch ein alter Mandant von dir zu sein. Ich wundere mich ein bisschen, dass du das letztens nicht erwähnt hast. Jósteinn Karlsson, falls du den Namen vergessen haben solltest. Soweit ich weiß, bist du auch sein Betreuer, du solltest also zumindest schon mal von ihm gehört haben.«
Verdammte Scheiße.
Er fiel ihr ins Wort: »Ich habe das nicht für wichtig gehalten. Wie kommst du darauf, dass das fragwürdig ist? Island ist, wie du weißt, ein kleines Land, und die Juristenschaft ist noch kleiner.« Konnte man so viel Pech haben? Von allen Fällen in seiner langen Berufslaufbahn wollte er diesen am wenigsten ans Tageslicht zerren.
»Ich habe mich natürlich mit dem Mann getroffen, und er lässt durchblicken, dass er das alles nur macht, um dir eins auszuwischen.«
»Ist ja merkwürdig. Niemand wäre glücklicher als ich, wenn es Beweise für Jakobs Unschuld gäbe. Aber es überrascht mich nicht, dass Jósteinn sauer auf mich ist. Wer sein Urteil nicht akzeptieren kann, gibt meistens seinem Anwalt die Schuld, das müsstest du ja wissen. Niemand kommt auf die Idee, dass er sich das vielleicht selbst zuzuschreiben hat.«
»Hm, vielleicht«, sagte Dóra wenig überzeugt. »Ihr beiden habt also keine offene Rechnung mehr?«
»Nein.« Ari fand sich selbst nicht überzeugend genug und wiederholte noch einmal: »Nein.«
»Wenn ich dich noch mal kontaktieren muss, wann kann ich dich dann am besten erreichen?«, fragte Dóra mit neutraler Stimme.
»Äh, nachmittags.«
»Gut, vielen Dank, ich melde mich bestimmt bald noch mal.«
»Kein Problem.« Ari gab sein Bestes, um gleichgültig zu klingen, traf aber nicht den richtigen Ton. Seine Hände waren immer noch genauso verschwitzt wie am Anfang des Gesprächs. Wie war er eigentlich auf die Idee gekommen, diese Frau anzurufen?
Dóra steckte das Handy in die Tasche und schaute zu Matthias, der gerade in ihre Straße einbog. »Das war Ari, der Anwalt. Ich könnte schwören, dass er bei Jósteinns Fall irgendwas vermasselt hat.« Sie schloss ihre Handtasche. »Es juckt mich in den Fingern, die Prozessunterlagen noch mal durchzusehen.«
»Okay.« Matthias parkte neben dem Wagen von Dóras Eltern. »Und ich dachte, wir würden noch ein bisschen Computer spielen.«
31 . KAPITEL
MITTWOCH ,
20 . JANUAR 2010
Dóras Bildschirm flackerte. Es war wohl an der Zeit, einen neuen zu kaufen, worauf Dóra nicht gerade erpicht war, denn alles war so teuer geworden. Hoffentlich hielt die alte Kiste noch ein paar Monate oder Jahre, bis sich die Krone wieder stabilisiert
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