Feuernacht
Horizont auf.
»Nein, lass uns erst in die Kanzlei fahren, ich will eine Kopie hiervon machen.« Dóra öffnete ihre Hand und betrachtete den unauffälligen USB -Stick. Sie hatte ihn nicht in ihre Handtasche gesteckt, aus Angst, er könnte in dem ganzen Krempel verlorengehen. Auf dem Stick befanden sich die wichtigsten Unterlagen, die Jósteinn über den Brand und den tödlichen Unfall auf dem Laptop gefunden hatte. Den Stick hatte er versteckt, bevor die Computer abgeholt worden waren. Jósteinn war die ganze Zeit klar gewesen, dass er am Ende auffliegen würde.
Aber raffiniert war er, das musste man ihm lassen.
37 . KAPITEL
DIENSTAG ,
9 . MÄRZ 2010
Die Sonne stand tief am Himmel und blendete Jakobs freudestrahlendes Gesicht. Die Verbände waren abgenommen, und die Brille hielt besser an den Ohren, obwohl ein Ohr seit dem Angriff ziemlich mitgenommen aussah und nie wieder richtig heilen würde, ebenso wie ein Auge, auf dem er nichts mehr sehen konnte. Das Ohr bereitete allerdings keine Probleme, während das blinde Auge ständig aus Jakobs Blickrichtung abdriftete und die Aufmerksamkeit auf seine seltsame Pupille zog, die nach den Operationen der vergangen Tage länglich war, wie bei einer Katze.
»Wenn das alles stimmt, war die Brandstiftung also nicht vorsätzlich, aber das werden wir wohl nie definitiv wissen. Als Jósteinn mich beauftragt hat, hat er gesagt, dass ein gebranntes Kind nicht immer das Feuer scheut, und damit hatte er recht«, sagte Dóra zu Jakobs Mutter. Ihr Sohn konzentrierte sich schon längst nicht mehr auf das Gespräch und wartete aufgeregt darauf, mit seiner Mutter nach draußen ins schöne Wetter zu kommen. Die Untersuchung des Falls war abgeschlossen, und die Wiederaufnahme vor dem Obersten Gericht stand fest; da das Ergebnis eindeutig zu Jakobs Gunsten ausfallen würde, war seine vorläufige Entlassung aus dem Sogn schnell vorangetrieben worden.
»Tryggvis Schwester Lena sagt, sie hätte diesen Bjarki in der Uni kennengelernt, ein paarmal mit ihm gefeiert und ihn an dem besagten Abend zu sich eingeladen. Als nur noch Lena, Bjarki und Lenas beste Freundin da waren, die zu dem Zeitpunkt völlig weggetreten auf dem Sofa lag, kamen sie auf die Idee, ins Heim zu fahren, um wieder fit zu werden. Erst haben sie sich vergewissert, dass Friðleifur Nachtwache hatte, und dann sind sie hingefahren. Bjarki saß stockbetrunken am Steuer. Lena weiß nicht mehr, ob sie schon unterwegs oder erst später die Idee hatten, ihrem Bruder einen Schreck einzujagen, aber sie hat Bjarki jedenfalls dazu angestiftet. Sie hat ihm erzählt, dass Tryggvi total fasziniert von Feuer war, aber gleichzeitig schreckliche Angst davor hatte. Mit ihrem betrunkenen Hirn hat sie geglaubt, Tryggvi würde sich dann wieder in seine Schale zurückziehen, und der tödliche Unfall würde nie aufgeklärt.«
Jakobs Mutter lauschte mit großen Augen und nickte bei jedem Satz. »Wie konnten diese Leute nur zulassen, dass Jakob dafür ins Gefängnis kommt? Ich verstehe das einfach nicht.«
»Ihre Eltern wussten nichts davon. Einvarður wollte nur sichergehen, dass nicht gegen seinen Sohn ermittelt wird. Deshalb hat er seinen Cousin Ari dazu gebracht, dich nach Jakobs Festnahme anzurufen und dir seine Hilfe anzubieten. Er hatte Angst, dass die Wahrheit über den Unfall sonst ans Licht kommen würde. Lena hat die ganze Sache vor ihren Eltern geheimgehalten, die Bilder im Laptop ihres Vaters stammten zwar von ihr, aber sie hat sie sofort wieder gelöscht, und ihr Vater hat sie nie gesehen. Man fragt sich nur, wie sie damit leben konnte. Vielleicht war sie einfach schon an solche Versteckspiele gewöhnt, weil sie über den Unfalltod des jungen Mädchens schweigen musste. Sie hat damals mit ihrer Mutter und ihrem Bruder im Wagen gesessen.« Dóra lächelte Jakob zu, der auf seinem Stuhl nicht stillsitzen konnte. »Wenn Lena die Wahrheit sagt, war der Brand nicht beabsichtigt. Vielleicht hat sie geglaubt, es wäre ungerecht, wenn Bjarki und sie dafür bestraft würden. Alles, was sie sagt, läuft darauf hinaus, dass er für diese schreckliche Tat verantwortlich war, aber damit war natürlich zu rechnen, er kann sich ja nicht mehr verteidigen. Lena behauptet, dass Friðleifur Bjarki nicht reinlassen wollte und die beiden sich gestritten hätten, sie aber nicht verstanden hätte, warum. Sie wusste ja nicht, dass Bjarki sich an dem bewusstlosen Mädchen vergriffen hatte, und ist dazwischengegangen. Lena hat Friðleifur überredet, sie
Weitere Kostenlose Bücher