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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Sie hatte geglaubt, die würden nach der Urteilsverkündung unzugänglich aufbewahrt. Glódís wollte nicht, dass der Fall noch mal aufgerollt wurde, sie hatte beruflich schon genug darunter leiden müssen und gerade wieder angefangen, Fuß zu fassen. Sie konnte die zahllosen Termine schon nicht mehr zählen, zu denen man sie zitiert hatte. Damals hatte sie sich auf der Arbeit wie eine Ausgestoßene gefühlt, niemand hatte freiwillig mit ihr geredet, aus Angst, ihre Unbeliebtheit in der Chefetage könnte abfärben. Glódís wusste nicht, ob sie so was noch mal überstehen würde.
    Eine vertraut depressive Stimmung überkam sie. Wie hatte es nur so schlecht laufen können? Ihre Idee war gut gewesen, egal, was andere im Nachhinein behaupteten. Sie war in der Behörde über Nacht zu einer Art Hoffnungsstern geworden. Bevor sie eine gemischte Wohngruppe vorgeschlagen hatte, war die Unterbringung von Behinderten so gelaufen wie das Sortieren von Socken nach dem Waschen. Hier die Blinden, da die Gelähmten und da die Autisten. Ihr Vorschlag wurde gut aufgenommen und das Bauvorhaben rasend schnell durchgeführt, in Island boomte die Wirtschaft, alle waren risikobereit, und es gab Geld im Überfluss. Wenn der Versuch glückte, würde man, sofern die Finanzen es erlaubten, weitere Heime ins Leben rufen. Als ihr dann mitgeteilt wurde, dass sie diese moderne Einrichtung leiten sollte, stand sie endlich auf der Sonnenseite des Lebens. Sie war zehn Jahre lang stellvertretende Leiterin gewesen und hatte sämtliche langweiligen und schwierigen Aufgaben von ihrem Chef übernehmen müssen, während der sich nur um die angenehmen gekümmert hatte. Jetzt war endlich Glódís an der Reihe. Aber ihr Glück währte nur kurz.
    Jakob, dieser verdammte Jakob. Wenn sie nur nicht so darauf gedrängt hätte, ihn aufzunehmen. Dann säße sie jetzt noch in ihrem kleinen Büro in der schicken neuen Einrichtung, würde Quittungen von Supermärkten überprüfen oder hätte ein bisschen Zeit, um im Internet nach Reisen für die Sommerferien zu suchen. Aber nein, sie saß im Regionalbüro und nahm Telefonanrufe von Familien entgegen, die nichts anderes taten, als sich zu beschweren. Wann wird endlich ein Platz frei? Der Rollstuhl ist viel zu klein. Kann man die Tagesbetreuung für meine Tochter nicht ausweiten? Endlose Forderungen, die Glódís nur selten befriedigen konnte, weshalb sie kaum Dank für ihre Schufterei bekam. Und jetzt, da harte Einschnitte und Sparmaßnahmen anstanden, sah es ganz so aus, als gehörten auch die wenigen positiven Gespräche der Vergangenheit an. Ihr Leben hatte sich von Grund auf geändert. Alles wegen Jakob.
    Glódís spürte einen Schmerz im Kreuz, der sich an der Wirbelsäule entlang bis in den Nacken zog. Sie stöhnte leise und massierte die schmerzende Stelle, aber es brachte nicht viel. Der Arzt hatte ihr gesagt, das sei eine Folge der Verletzung, die sie sich zugezogen hatte, als ihr mit voller Wucht ein Besenstil ins Kreuz geknallt worden war. Zwei Wirbel hatten sich verschoben, woran man nicht viel machen konnte, außer einer aufwendigen Operation, deren Erfolg umstritten war. Wiederum Jakobs Schuld. Er hatte sie von hinten angegriffen, als sie nicht damit gerechnet hatte. Der Schlag hatte sie quer durch den Raum geschleudert, bis sie im Flur gegen einen Rollstuhl geknallt war. Den Aufprall hatte sie noch nicht mal gespürt, weil die Schmerzen im Rücken so stark gewesen waren. Die Angst, gelähmt zu sein, überdeckte alles andere, und salzige Tränen liefen über ihr aufgeschürftes Gesicht, während sich der Schmerz auch in die Beine zog. Als sie die Augen aufschlug, beugte sich Jakob über sie und starrte sie mit seinem Schafsgesicht an. Glücklicherweise kamen Kollegen angerannt und nahmen ihn mit – er hätte sonst bestimmt noch weiter mit dem Besen auf sie eingedroschen. Und diese dämliche Anwältin kam auf die Idee, der Mann sei unschuldig. Die würde ihre Meinung schnell ändern, wenn sie so einen Schlag verpasst bekäme. Glódís wünschte es ihr.
    »In zehn Minuten treffen wir uns wegen der Kürzungen.« Dass die Kollegin in der Türöffnung Glódís überhaupt darüber informierte, war ein weiteres Zeichen dafür, dass der Brand langsam in Vergessenheit geriet. Wenn dieses Unglück weiter im Dornröschenschlaf bleiben würde, wäre bald alles wieder gut.
    »Danke, ich komme.« Glódís setzte ihr leidvollstes Gesicht auf und massierte weiter ihren Nacken. »Ich habe solche Rückenschmerzen, das

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