Feuerprinz
beiden Alten entsetzt an. Sie wollten die Göttin töten, aber damit auch sie; und sie erwarteten von ihr, dass sie sich freiwillig diesen Giftdorn ins Herz stoßen ließ!
Kurz dachte sie über ihr Schicksal nach – ihre Eltern waren tot, ihre einzige Liebe hatte sie verschmäht … Sie war die glücklose Lin, und sie war vollkommen allein. Wäre es wirklich ein so großes Opfer zu sterben? Doch dann siegte ihr Überlebenswille. Sie schüttelte den Kopf. »Das ist ungerecht! Ich habe mir das nicht ausgesucht.«
Die beiden Alten gaben sich ein Zeichen aus den Augenwinkeln heraus und schienen sich darauf zu verständigen, dass sie mit Gegenwehr seitens ihres Opfers zu rechnen hatten. Ihre lauernden Blicke brachten Lin in Habachtstellung. Sie sprang auf und rief laut nach Dawon. Der Greif hatte gute Ohren – er musste sie einfach hören.
Die Alten rannten von zwei Seiten auf sie zu, und zwar so schnell, dass Lin beinahe vor Staunen vergessen hätte wegzulaufen. Ihre krummen Beine, die aussahen wie knorrige Ästchen, waren beweglicher, als sie vermuten ließen. Im letzten Augenblick gelang es ihr, von der Lichtung in den Wald zu fliehen. »Dawon … Sie wollen mich töten!«, rief sie verzweifelt, während ihr Äste ins Gesicht peitschten und die Flüche der Alten sie verfolgten.
»Wurzeldreck und Schneckenschleim – nur einen Stich geritzt ganz fein ins Herz, der Tod wird kommen ohne Schmerz …«
»Haut ab! Lasst mich in Ruhe!«, rief sie außer sich und rannte noch schneller durch das dichte Gebüsch. Diese Götter! Was gab ihnen das Recht, ihre Spiele mit den Menschen zu spielen? Als Lin glaubte, die Waldfrauen abgehängt zu haben, blieb sie stehen und rang nach Atem. Ohne Dawon würde sie niemals aus dem Isnalwald finden, und sie war auch nicht in der Lage, auf sich allein gestellt lange zu überleben. Aufmerksam sah sie sich um, während der Angstschweiß in ihrem Nacken langsam trocknete. Die Bäume standen so dicht, dass kaum ein Sonnenstrahl auf den Waldboden fiel, und eine Richtung sah für sie aus wie die andere. »Dawon!«
Hinter ihr knackte ein Ast. Lin fuhr herum und sah eine der Alten wie eine Katze aus dem Gebüsch direkt auf sie zuspringen. In ihrer Hand hielt sie den vergifteten Dorn. Lin war zu überrascht, als dass sie hätte ausweichen können. Sie starrte wie gelähmt den Giftdorn an, der ihrem Herzen und ihrer Brust immer näher kam.
Das ist das Ende … deines, Sala, und meines!
Plötzlich wurde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen und sie von zwei kräftigen Händen gepackt. Lin kreischte und strampelte mit den Füßen. Ein scharfer Schmerz durchstieß ihren Fuß. Sie starrte hinunter und sah, dass der Giftdorn der Waldfrau darin steckte. Wellen von Übelkeit erfassten sie im gleichen Augenblick. Lin warf den Kopf in den Nacken und erkannte Dawon, der sie mit kräftigen Schlägen seiner Schwingen hinauf in den Himmel trug – fort von den mörderischen Alten, die ihr und der Göttin ans Leben wollten. Sie hörte das Keifen der Waldfrau wie durch eine dicke Nebelwand. »Tochter von Engil, die du warst zwei! Der Fluch sei gebrochen, euer Leben vorbei!«
Ihr Fuß begann zu brennen wie Feuer, und ihre Adern schwollendick und blau an. Lin spürte den sicheren Tod durch ihr Bein hinauf zu ihrem Herzen kriechen. »Sie hat meinen Fuß mit dem Giftdorn verletzt.«
Dawon packte sie fester und stieß mit ihr durch das Blätterdach des Isnalwaldes in den freien Himmel hinauf. Die Luft war kühl, doch Lin begann zu schwitzen und zu keuchen.
»Dawon bringt Lin zu seiner Gefährtin! Nona kennt das Gift der Waldfrauen. Sie kann helfen.«
Auf Lins Stirn bildete sich kalter Schweiß. Nachdem sie eben noch zu verbrennen geglaubt hatte, begann sie nun zu frieren. Nur ihr Fuß fühlte sich noch immer an, als würde sie in glühender Asche stehen. Sie ahnte – so schnell Dawon auch flog, sie würden zu spät kommen. Das Gift war zu stark. Ihr Kopf begann sich zu drehen, ihr Verstand in die schwarzen Tiefen des Vergessens abzurutschen. Die Waldfrauen hatten gewonnen – sie würde sterben. Lin verlor das Bewusstsein.
Schwarzes Land
Lin öffnete die Augen und breitete die Arme aus. Alles war herrlich leicht, alle Schwere von ihr abgefallen; sie flog! Sie flog wie ein Vogel durch die Nacht, hoch oben am Himmel. Der kühle Nachtwind berührte ihr Gesicht und zauste ihr Haar. Alles war friedlich und still. Keine zankenden Waldfrauen, und auch keine Angst trübte diesen Frieden. War sie in Salas
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