Feuerprinz
Endlich ließ der Greif sie los. Noch immer fiel sie, wurde jedoch erneut gepackt, dieses Mal von zwei riesigen schuppig-gelben Füßen … Vogelklauen! Sie legten sich wie eine Zwinge um ihre Hüfte, so dass Lin meinte, ihre Knochen würden zerbrechen, als wären sie Strohhalme.Lin nahm ihre letzten Kräfte zusammen und hämmerte mit den Fäusten auf die gelbschuppigen Klauen ein. Ein riesiger Vogel wollte sie in sein Nest schleppen! Vielleicht hatte er Junge – Riesenküken mit aufgerissenen Schlünden, die darauf warteten, gefüttert zu werden! Lin fühlte das Gift ihr Bein hinaufkriechen, und der Schmerz wurde atemberaubend. Sie hörte auf, sich zu wehren. Es gab kein Entkommen.
Hoffentlich ist genügend Gift in meinem Körper, damit ich deine letzte Mahlzeit werde
, dachte sie voller Bitterkeit. »Dawon«, flüsterte sie mehr, als dass sie seinen Namen rief, doch die einzige Antwort, die sie erhielt, war das laute Krächzen des Riesenvogels.
Glücklose, elende Lin!
Dann verlor sie endgültig das Bewusstsein.
Jevana saß stocksteif auf dem ihr zugewiesenen Stuhl und bemühte sich, den Blicken von Elvens blutroten Augen standzuhalten. Ihr Herz schlug hart gegen ihre Rippen, und sie betete zu Sala, dass weder Elven noch Braam ihre Angst spüren konnten. Ihre Hände wanderten zu der zarten Kette um ihren Hals, und sie atmete tief durch. Sie würden sie nicht berühren können – Salas Tränen schützten sie. Doch wie lange noch? Wie lange würde die Macht der Göttin sie vor Elven schützen? Jevana war sich sicher – er war der erste Diener des Muruk … und der Gott hatte ihm besondere Kräfte verliehen.
Unruhig rutschte Jevana auf dem Stuhl hin und her. Sie wusste nicht, warum Elven sie hatte rufen lassen, doch es schien ihr kein gutes Zeichen. So viele Frauen waren in der letzten Zeit zu ihm gerufen worden und dann spurlos verschwunden. Vielleicht endete sein Begehren tödlich … für die Erwählte?
Er kann mich nicht berühren … noch nicht …
Engil wurde von Greifen überschwemmt, die sich wahllos Frauen nahmen, wenn deren Männer oder Familien sie nicht versteckten.Elven umgab sich mit den gefühllosen Kreaturen, als wären sie Schmuckstücke – eine furchteinflößende Leibgarde mit beeindruckenden Körpern und glänzendem Silberschmuck.
Dann gab es noch die Schjacks … die furchtbaren Raubtiere des dunklen Gottes! Sie streiften um Engil herum und lauerten am Rand des Isnalwaldes auf Opfer. Zwei Kinder, ein Mann und eine Frau waren von ihnen getötet worden, als sie hatten fliehen wollen. Elvens Botschaft an die Engilianer war eindeutig:
Aus Engil kommt niemand hinaus, wenn ich es nicht zulasse!
»Priesterin …«
Jevana zwang sich, in die blutroten Augen Elvens zu blicken, aus denen das Böse schlechthin sie zu beobachten schien. Als er nach Engil gekommen war, war er ein ansehnlicher Mann gewesen. Jetzt waren Körper und Gesicht aufgedunsen, und die Haut spannte über den Knochen. Elven schien sich zu verändern.
»… gerade sind die Greife zurückgekehrt und haben berichtet, dass sie die Königin von Engil und den dunklen Greif gesehen haben. Viel Zeit bleibt nicht mehr bis zur Vollendung des Tempels. Verrate mir, wohin sie fliehen könnten, und ich verschone die Priesterinnen.« Elven fuhr scheinbar gelassen über den Stoff seines Gewandes. Mittlerweile trug er weite Gewänder in düsteren Farben … vielleicht um seinen aufgedunsenen Körper zu verbergen.
Jevana schwieg störrisch.
Elven seufzte ungeduldig. »Ich weiß, dass du um Salas Tempel herumschleichst und den Priesterinnen Essen bringst. Es wäre einfacher für sie, das Leben loszulassen, wenn es ihnen Entbehrungen abverlangt.«
Jevana sprang auf. Braams Gesicht war wie versteinert, und sie nahm sich einen Augenblick, um ihn zu betrachten. Seine verhärteten Mundwinkel, die zusammengepressten Lippen, der stur geradeaus gerichtete Blick. Braam hatte Angst! Obwohl er dergrößte Nutznießer dieser Katastrophe war, hatte er Todesangst. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er wusste etwas, was sie nicht wusste – was keiner von ihnen wusste, vielleicht noch nicht einmal Lin.
Elven bot ihr einen Becher Wein an, doch Jevana schüttelte angewidert den Kopf. Der gärige Gewürzwein, den Elven vor allem an die Bediensteten des Palastes und die Männer auf der Tempelbaustelle verteilen ließ, widerte sie an. Er reichte den Becher Braam, der ihn zur Seite stellte, und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. »Vielleicht
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