Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
kommen.“
Sie durchquerten gerade das obere Stockwerk, dessen Gänge denen im Haupthaus von heute zumindest ein bisschen ähnlich waren.
„Du machst mich neugierig. Was ist gruseliger als bösartige Gäste, die das Treppenhaus stürmen?“
„Manchmal habe ich Angst, dass die Spiegel nur noch Spiegel sind, wenn ich hier bin“, sagte Maria. Sie verlangsamte ihr Tempo, als sie das sagte, weil es sie sehr zu beschäftigen schien. „Ich habe Angst, dass ich zurückgehen will nach Sumpfloch, in die wirkliche Welt, und dass es nicht geht! Dass ich vor all den Spiegeln stehe und nicht mehr rauskomme. Und dass die Türen im Treppenhaus verschwunden sind, sodass ich hier eingesperrt bin für immer, ganz alleine. Das stelle ich mir schrecklich vor! Unerträglich! Deswegen fühle ich mich besser, wenn ihr mitkommt. Sollten die Spiegel plötzlich nicht mehr durchlässig sein, bin ich wenigstens nicht alleine eingesperrt. Das ist sehr egoistisch, nicht wahr?“
Sie war fast stehen geblieben und schaute Gerald mit ihren in allen Farben verschwimmenden Augen an. In diesen Augen steckte echte Furcht. Sie hatte Angst, dass es so kommen könnte.
„Wir sind alle egoistisch“, sagte er. „Ich könnte jetzt so tun, als wäre ich aus völlig selbstlosen Gründen hier, aber du weißt genau, dass ich auf dieses alte Sumpfloch sehr, sehr neugierig bin! Da musst du dir keine Gedanken machen.“
„Gut.“
„Gibt es einen Grund für deine Angst?“, fragte er. „Hast du mal etwas erlebt, das dich glauben lässt, es könnte passieren?“
„Nein“, sagte sie. „Ich denke, es ist eine eingebildete Angst. So wie bei Leuten, die sich nicht trauen, über einen großen, weiten Platz zu gehen oder mit dem Flugwurm zu fliegen. Es ist nicht so gefährlich, wie es sich anfühlt.“
„Das beruhigt mich.“
„Gerade habe ich auch gar keine Angst. Ich hatte das letzte Mal Angst, als ich alleine war.“
Sie ging jetzt wieder in normalem Tempo weiter.
„Was wolltest du mir zeigen?“, fragte er.
„Einen Spiegel.“
„Es gibt hier einen Spiegel? Das ist gut! Den könnte man als Fluchtweg benutzen, wenn mal das Treppenhaus verstopft ist!“
„Nur im Notfall. Er ist nicht normal, dieser Spiegel.“
„Warum?“
„Schwer zu sagen. Es hängt mit dem zusammen, was ich hier wahrnehme. Ich hatte dir doch mal erzählt, dass ich Torcks Anwesenheit spüre, erinnerst du dich?“
„Ja.“
„Mittlerweile weiß ich, dass es nicht Torcks Anwesenheit ist. Es ist die Anwesenheit einer Frau, die an Torck denkt!“
Gerald blieb überrascht stehen.
„Wirklich?“
„Ja! Ich habe mittlerweile eine sehr genaue Vorstellung von der Frau und als ich den Spiegel entdeckt habe, habe ich sie gesehen. Nur ganz kurz! Im Spiegel hat sich der Raum gespiegelt, in dem ich stand und im hintersten Eck war sie, nur flüchtig, dann ist sie verschwunden.“
„Das ist ja … unheimlich!“
„Komm, wir müssen noch zwei Stockwerke höher.“
Sie erreichten das Ende des Ganges und stiegen eine knorrige, sehr schiefe Treppe empor.
„Ich glaube, ich habe etwas herausgefunden“, sagte Maria. „Aber es wird dir verrückt vorkommen!“
„Lass es hören, ich platze vor Neugier!“
Maria antwortete mit einer Frage:
„Was weißt du über Mandelia?“
„Mandelia war das zweite Erdenkind des Anbeginns und man weiß nur sehr wenig über sie, weil sie jung starb, im Gegensatz zu den anderen. In einer Geschichte heißt es, Torck habe sie getötet, weil sie seine dunklen Pläne vereiteln wollte.“
„Sie konnte sich unsichtbar machen, genauso wie du“, sagte Maria. „Unsichtbar bis zur Unangreifbarkeit, verstehst du? Vielleicht ist sie nicht tot. Vielleicht ist sie immer noch da?“
Es schockierte Gerald, was sie da sagte. Denn er wusste ja, wie es war, unsichtbar zu sein bis zur Unangreifbarkeit. Die Vorstellung, er müsste es immer sein, Jahrtausende lang, ohne dass ihn jemand sehen, hören oder anfassen konnte, war grauenvoll. Bestimmt so grauenvoll wie Marias Alptraum, sie könnte in der Spiegelwelt eingesperrt sein und nicht mehr hinauskommen.
„Du meinst, sie ist hier?“, fragte er.
„Ich glaube, sie war die Person, die ich im Spiegel gesehen habe. Sie ist mit Torck verbunden oder steht ihm sehr nahe. Sie vertraut ihm. Deswegen dachte ich erst, es wäre Torck, den ich hier spüre. Deswegen dachte ich auch, dass keine Gefahr von ihm ausgeht. Weil sie es glaubt!“
„Thuna hat erzählt, dass Torck in seinem Kerker mit Mandelia
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