Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
verschwiegen, damit sie hierbleibt? Damit sie dich nicht verlässt?“, rief Viego ungläubig und wütend. „Du hast es in Kauf genommen, dass sie die ganze Zeit trauert, nur weil es dir so lieber ist?“
„Sie gehört zu mir!“, verteidigte sich Gangwolf. „Sie ist meine Schwester, meine beste Freundin, mein Fleisch und Blut! Ich kann nicht ohne sie leben. Und du auch nicht! Deswegen wirst du es ihr nicht sagen, sonst geht sie womöglich zurück und kommt nie mehr wieder!“
„Gangwolf! Hörst du denn nicht, wie selbstsüchtig das ist? Du musst ihr doch die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden, wo sie leben will!“
„Das kann ich nicht riskieren. Amuylett ist meine Zukunft, die Erde brauche ich nicht mehr. Und jetzt, da sie deine Freundin ist, ist Amuylett auch ihre Zukunft. Sei mir doch dankbar. Wenn ich es ihr gesagt hätte, wäre sie schon vor Jahren zurückgegangen, dann wäre sie nie deine Freundin geworden. Vielleicht hättest du sie nie kennengelernt.“
Das wäre allerdings ein Verlust gewesen. Trotzdem war Viego überzeugt davon, dass sich Gangwolf falsch verhalten hatte. Noch am selben Tag sagte er Geraldine die Wahrheit und das führte zum Bruch zwischen den beiden Geschwistern. Sie konnte es überhaupt nicht fassen, dass sie von ihrem Bruder, dem sie ihr Leben lang blind vertraut hatte, so betrogen worden war.
Anfangs weigerte sie sich, überhaupt noch mit ihm zu sprechen, doch das hielt sie nicht durch. Sie hörte auf, ihn zu schneiden, doch sie hörte nicht auf, wütend auf ihn zu sein. Sie verlangte von ihm, dass er sie in ihre Heimatwelt führte, was er widerwillig tat. Die Erfahrungen, die Geraldine dort machte, trugen nicht dazu bei, sie versöhnlich zu stimmen. Jedes Mal, wenn sie aus ihrer Heimatwelt zu Viego zurückkehrte, war sie sehr niedergeschlagen.
Sie beherrschte ihre eigene Sprache nur noch fehlerhaft und sprach mit einem starken Akzent, weswegen man sie für eine Ausländerin hielt, und das bedeutete leider, dass man sie auch sehr oft unhöflich behandelte. Geraldine machte ihre Mutter ausfindig und wurde an der Haustür abgefertigt:
„Jetzt lässt du dich blicken? Jahre, nachdem du ohne ein Wort mit deinem Vater durchgebrannt bist? Jetzt musst du nicht mehr kommen! Was willst du überhaupt? Geld? Mach dich vom Acker! Ich hab nichts übrig für dich, ich muss selbst schauen, wo ich bleibe.“
Geraldine suchte auch nach ihrem Vater, doch die Suche zog sich hin. Als sie endlich herausfand, was mit ihm passiert war, plagte sie ein schlechtes Gewissen. Denn er war an dem Tag, als sie und Gangwolf weggelaufen waren, ohne seine Kinder nach Frankfurt zurückgefahren. Er kam mit dem roten Kadett von der Straße ab, überschlug sich und war schon tot gewesen, als der Rettungswagen kam. So stand es in den Polizei-Unterlagen, in die Geraldine Einsicht bekam.
„Es ist unsere Schuld“, sagte sie später zu Gangwolf. „Er hat sich so über uns aufgeregt, dass er nicht aufgepasst hat, wohin er fährt! Wir haben ihn umgebracht!“
„Das ist Blödsinn!“, hatte Gangwolf widersprochen. „Er ist immer gefahren wie ein Henker! Du hast dich jedes Mal panisch an mir festgehalten und hast nur losgelassen, um dich zu übergeben. Weißt du das nicht mehr? Vielleicht wären wir jetzt auch tot, wenn wir mit ihm mitgefahren wären!“
Er schaffte es, Geraldine davon zu überzeugen, dass sie keine Schuld am Tod ihres Vaters trugen. Und nach einigen Ausflügen in ihre alte Heimat ließ Geraldines Interesse an der Erdenwelt nach. Sie und Viego beendeten die Schule und zogen zusammen nach Tolois-Stadt, wo sie beide studierten. Es war die glücklichste Zeit in Viegos Leben und er hatte den Eindruck, dass Geraldine auch glücklich gewesen war. Die beiden Geschwister fanden wieder zueinander und es war fast so wie früher. Über Gangwolfs Vergehen sprachen sie nicht mehr und der einzige Unterschied, den Viego bemerkte, war, dass Geraldine ihren Bruder häufiger auslachte. Sie nahm ihn nicht mehr so ernst, wie sie es einmal getan hatte.
Gangwolf tauchte mit einer Flasche Kalter Kuhn an Viegos Hängematte auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Müde lehnte er sich gegen einen Baum und schimpfte auf die Tür.
„Es liegt an diesem dämlichen Universum auf der anderen Seite. Alles, was ich flicke, reißt in kürzester Zeit wieder auf.“
„Deswegen ist es ja auch schlecht für Amuylett“, sagte Viego seelenruhig. „Und deswegen musst du es in Ordnung bringen.“
„Ich weiß
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