Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
großen Flügeln und Gerald musste schnell den Kopf einziehen, damit er nicht getroffen wurde. Der Vogel flog auf, setzte in der Luft zur Verwandlung an und landete in menschlicher Gestalt auf beiden Füßen im Gras. Es war – Scarlett!
„Na?“, sagte sie. „Was sagt ihr dazu?“
Sie wurde bejubelt und beklatscht und in der Tat war diese Vorstellung sehr beeindruckend.
„Ich beneide dich!“, rief Lisandra.
„Wieso, das kannst du doch auch?“
„Ja, aber nur in eine Richtung.“
Scarlett strahlte übers ganze Gesicht. Sie war ein einziges Bündel aus glücklicher, vibrierender Energie.
„Ist das nicht fantastisch? Es klappt!“
„Und du kannst auch richtig fliegen?“, fragte Thuna. „Wie ein echter Falke?“
„Ich denke, ja. Bisher bin ich noch nicht hoch geflogen, das traue ich mich noch nicht. Aber ich übe fleißig! Deswegen muss ich jetzt auch zurück zu meinem Fluglehrer.“
Sie hatte es kaum ausgesprochen, da verwandelte sie sich abermals und die Mädchen konnten bewundern, wie Scarlett sich vom Boden abstieß und mit kräftigen Flügelschlägen über den Baumwipfeln verschwand.
„Ihr Fluglehrer?“, wiederholte Thuna fragend.
„Hanns“, antwortete Gerald.
Berry richtete sich kerzengerade auf, als sie den Namen hörte.
„Hanns? Du siehst dabei zu, wie Hanns ihr Flugunterricht gibt?“
„Nein“, sagte Gerald, „ich sehe nicht zu. Das hat sie mir verboten.“
„Du weißt ganz genau, was ich meine!“, rief Berry. „Hast du keine Angst, dass er sie dir ausspannt?“
Diese Angst hatte Gerald offensichtlich nicht. Er lachte und hätte nicht unbesorgter sein können.
„Sie steht nicht auf ihn“, sagte er und setzte sich neben die Mädchen ins Gras.
Berry sah das anders.
„Nimm es nicht auf die leichte Schulter“, ermahnte sie Gerald. „Er ist ein alter Freund und sie hat eine Menge für ihn übrig!“
„Ja, ich weiß. Aber das ist was anderes.“
„Gerald, muss ich dir erklären, wie Mädchen ticken?“, fragte Berry. „Sie wollen einen Typen bewundern und was ist bewundernswerter, als wenn dir einer, der perfekt zaubern, fliegen und sich verwandeln kann, beibringt, wie es geht?“
Gerald dachte kurz über Berrys Einwand nach.
„Ich glaube, Bewunderung nutzt sich ab“, sagte er schließlich. „Ausschlaggebend ist am Ende was anderes.“
„Und was?“
„So eine Art Anziehungskraft. Wenn man füreinander bestimmt ist, spürt man es. Man kommt nicht dagegen an.“
Thuna hörte zu und dachte sofort an Lars. Sie verstand, was Gerald zum Ausdruck bringen wollte und sie war der gleichen Ansicht: Es musste etwas geben, das zwei Menschen zusammenführte, leidenschaftlich und dringend. Eine Kraft, die so stark war, dass sie jeden Widerstand und jedes Hindernis aus dem Weg pusten würde wie eine Naturgewalt, gegen die niemand etwas ausrichten konnte. Das war eine schöne Vorstellung!
Doch leider hatte Thuna das Gefühl, dass die Anziehungskraft, die zwischen ihr und Lars bestand, nicht besonders stark war. Es machte Spaß, mit ihm zusammen im Garten zu arbeiten und sich zwischendurch verstohlen anzulächeln. Es war auch aufregend, wenn sich ihre Hände aus Versehen berührten. Aber war es die große, unsterbliche Liebe? Nein, eher nicht. Thuna seufzte. Warum war ihr Leben bloß so hoffnungslos unromantisch?
Aber das war nicht ihre einzige Sorge. Sie musste endlich das Versprechen einlösen, das sie Perpetulja gegeben hatte, und Torck besuchen. Was bedeutete, dass sie sich von diesem fröhlichen Sommertag verabschieden musste, um in die Düsternis von Sumpflochs Tiefen hinabzutauchen. Normalerweise machte ihr das nichts aus, weil sie das Wasser und seine Geheimnisse dort unten liebte. Doch um den Gefangenen hätte sie lieber einen Bogen gemacht. Nicht wieder wochenlang düstere Träume … aber es führte kein Weg daran vorbei.
„Du, Maria“, sagte sie leise zu der Freundin, die neben ihr im Gras kniete, „ich werde dann gehen!“
Maria war ein Phänomen. Da kniete sie, während gerade über ein so interessantes Thema wie die Liebe gesprochen wurde, und beobachtete konzentriert einen kleinen, blaugrün schillernden Käfer, der über ihre Zeigefingerspitze spazierte. Als gäbe es nichts Aufregenderes als das.
Es war Thuna auch gerade unmöglich herauszufinden, was Maria dachte oder fühlte. Denn das Mädchen bunkerte seine Gefühle an einem anderen Ort – vielleicht in der Spiegelwelt, aber nicht hier. Das kannte Thuna normalerweise nur von Zauberern, die es
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