Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Zustand der Auflösung zurückgekehrt. Aber natürlich wusste sie, dass es nicht sein konnte und nicht sein durfte. Und dass er es nicht wollte. Das war sowieso der schwerwiegendste Grund: Er entschuldigte sich andauernd, weil sie sich niemals so nahe hätten kommen dürfen. Er liebte eine andere, deswegen war die Sache so schlimm für ihn. Und weil er offenbar nicht wusste, dass sie keinen anderen liebte, sondern nur ihn, war er doch tatsächlich davon überzeugt, dass sie es genauso schlimm fand wie er!
Sie gingen im Abendlicht durch den Schulgarten und versuchten, sich ungesehen ins Haupthaus zu schleichen. Natürlich lag die schwarze Katze auf der Lauer und beobachtete sie genau. Aber das war nicht weiter wichtig. Sollte sie doch zu Grohann gehen, wenn er wieder da war, und sie verpfeifen. Maria war es gleichgültig.
Als sie sich von Gerald verabschiedete, weil sie auf ihrem Stockwerk angekommen war und zu ihrem Zimmer abbog, wurde ihr das Herz sehr schwer. Sie wusste ganz genau, dass sie sich für immer zurücksehnen würde. Nach diesem einen Nachmittag und diesem einen Moment der unvermeidlichen Nähe. Es hatte sich angefühlt wie ein wahr gewordener Traum. Wahr wie das wirkliche Leben und doch so unerfüllbar, wie es die meisten Träume nun mal sind.
Kapitel 22: Ohne Worte
Grohann schien eine Menge zu tun zu haben, denn aus seinem zweitägigen Aufenthalt in Tolois war mittlerweile eine ganze Woche geworden. Man vermisste ihn nicht und auf dem Schulgelände, das durch das hohe Maß an Sicherheitsvorkehrungen wie verwunschen von der Außenwelt abgeschnitten war, herrschte sommerlicher Frieden. Niemand kam (außer ab und zu Hauptmann Stein), niemand ging und kein Lärm drang vom krisengeschüttelten Amuylett ins Innere der Festungsmauern.
Thuna verbrachte viel Zeit im Freien, oft half sie Lars im Garten oder sie passte dort auf Trischa auf. Das kleine Mädchen blieb häufig an Thuna hängen, weil sie die Einzige war, die es schaffte, Trischa zum selbstständigen Spielen zu überreden und nebenher ein Buch zu lesen. Eine Leistung, die selbst Estephaga tief empfundene Laute der Bewunderung entlockte.
„Gibt es einen Trick?“, fragte sie.
„Wenn es einen gibt, dann weiß ich nicht, wie er geht“, antwortete Thuna.
„Finde es heraus, Thuna! Ich verspreche dir Bestnoten für ein ganzes Schuljahr, wenn du mir auch nur den winzigsten nützlichen Tipp bieten kannst!“
„Frau Glazard, in Ihrem Fach habe ich schon gute Noten. Wenn Sie mir Bestnoten in Geheimkunde oder Angewandte Magikalie verschaffen könnten, wäre das was anderes.“
„Bedaure. Die Kollegen sind da ein bisschen eigen.“
Heute war Thuna mit ihren Freundinnen im Garten und sie wäre genauso fröhlich gewesen wie die anderen, hätte sie nicht ein schlechtes Gewissen geplagt. Perpetulja, die Schulleiterin, die als Schildkröte hauptsächlich in den unterirdischen Kanälen von Sumpfloch lebte, hatte Thuna schon mehrere Male darum gebeten, mal wieder nach dem Gefangenen zu sehen. Nach Torck.
Der Gefangene, den seit Tausenden von Jahren niemand mehr gesehen hatte, lebte in einem Kerker unterhalb der Festung, umgeben von Wasser. Er randalierte von Zeit zu Zeit, wobei niemand wusste, was er eigentlich tat, wenn er die Wände der Festung zum Brummen und Wackeln brachte. Jedenfalls war er lange Zeit sehr ruhig gewesen, vielleicht hatte er die Jahrtausende sogar verschlafen, doch jetzt schlief er eindeutig nicht mehr.
Da Thuna unter Wasser atmen und die Gefühle und Gedanken anderer Lebewesen auffangen konnte (solange es keine Zauberer waren, die sich dagegen wehrten), hatte Perpetulja sie im letzten Schuljahr an Torcks Gefängnis heranschwimmen lassen, damit sie dessen Gedanken belauschte. Die Direktorin versprach sich davon Erkenntnisse über den Zustand und die Pläne des Gefangenen. Grohann war gegen diese Unternehmung. Er wollte nicht, dass Thuna in den Einfluss von Torck geriet, dem man nachsagte, dass er anderen Wesen seinen Willen aufzwingen konnte.
So hatte es begonnen. Ein Tauziehen zwischen Perpetulja und Grohann – und Thuna war das Tau. Seit ihrem ersten Ausflug zu Torcks Kerkermauer war sie noch zweimal dort unten gewesen, doch sie hatte nicht mehr über Torck herausgefunden als beim ersten Mal. Er lebte in einer Illusion, die ihm vorgaukelte, er verbringe sein Leben in einer einsamen Hütte in den Bergen. Stets sprach er mit Mandelia, als sei sie bei ihm. Doch Thunas Gedanken fanden keine Mandelia. Torck war eindeutig
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