Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Jammern ähnelten.
„Hörst du ihn brüllen?“, fragte Perpetulja. „Das macht er erst seit wenigen Wochen!“
„Es ist das gleiche Geräusch, das ich immer höre“, antwortete Thuna. „Nur viel lauter als sonst.“
„Das wird der Grund sein, warum ich es jetzt hören kann“, sagte die Schildkröte. „Er macht mehr Krach als vorher.“
Perpetulja zog sich zurück in die Dunkelheit und Thuna blieb mit der Gefängnismauer, dem blauen Licht um sie herum und Torcks Gedanken allein. Sie lehnte ihre Stirn gegen den kalten, glitschigen Stein und schloss die Augen. Ihre Aufmerksamkeit tauchte. Tauchte durch die Mauern, tauchte in Torcks Scheinwelt, tauchte in seinen Geist ein. In die Bilder in seinem Kopf, in seine Wünsche, in sein Begehren.
Es hatte sich in der Tat etwas verändert. Die Hütte, in der Torck bisher gelebt hatte, war zerstört, als habe sie jemand, der über Riesenkräfte verfügte, mit einem Baumstamm zertrümmert. Ihre Überreste lagen über die Bergwiese verteilt. Ein riesiger Krater klaffte im Abhang und ein gewaltiger Haufen aus Steinen, die Torck aus dem Loch geholt haben musste, erhob sich an dessen Rand. Torck schuftete in der Tiefe, stieg zwischendurch zum Rand des Lochs empor und holte die ausgehobene Erde mit einem selbst gebauten Seilzug nach oben.
Er sprach nicht und auch Mandelias Stimme war nicht zu hören. Das war ungewöhnlich, denn bisher waren sie immer in ein Gespräch vertieft gewesen und wenn sie nur ihre Gedanken ausgetauscht hatten. Diesmal dachte Torck allein.
Thuna fühlte deutlich, dass seine Gedanken darauf gerichtet waren, so lange in die Tiefe zu graben, bis er irgendwo ankommen würde. Ein unmögliches Unterfangen, wenn man die Illusion, in der sich Torck befand, für echt hielt. Hatte er aufgehört, an das Haus und die Landschaft zu glauben, die er bewohnte? Hatte er herausgefunden, dass er ein Gefangener war? Es kam Thuna so vor, als habe Torck es aufgegeben, in den Bergen oder im Tal nach einem Weg zu suchen. Dieses Loch, das er gerade grub, war sein Weg geworden. Aber wo war Mandelia?
Thuna wartete. Maria hatte sie gebeten, besonders auf Mandelia zu achten. Sie hatte Thuna erzählt, dass sie es für möglich hielt, dass Mandelia noch lebte. Unsichtbar und unangreifbar. Maria glaubte, dass es Mandelia möglich war, zu Torck ins Gefängnis vorzudringen und er sie vernahm, wie auch immer. Vielleicht nur in seinen Gedanken oder in Form eines Traums.
Es war anstrengend, in Torcks Geist zu schwimmen. Es war nervenaufreibend. Thuna spürte seine Kraft und seinen wütenden Wunsch, tiefer zu graben. Tiefer und immer tiefer. Ihr dämmerte allmählich, wonach er grub. Eingesperrt in die Bilderwelt, die die Feen vor langer Zeit für ihn ersonnen hatten, grub er nun nach der Wirklichkeit.
Er suchte die Wahrheit. Er wollte nicht länger betrogen werden, denn er hatte verstanden, dass man ihn eingesperrt und betäubt hatte. Jetzt war er wach. Er grub und grub, um auf etwas zu stoßen, das ihm einen Anhaltspunkt gab. Und er grub, um Mandelia zu finden. Die echte Mandelia. Die unsichtbare und unangreifbare Mandelia, deren Gedanken ihm nun, da er aus seiner Illusion erwacht war, abhanden gekommen waren.
Thuna wandte sich ab. Es schmerzte, das Leid des Gefangenen zu sehen und seine Hilflosigkeit zu spüren. Seine Wut berührte sie und für einen kurzen Moment hätte sie am liebsten die Wand eingerissen, die den Gefangenen daran hinderte zu gehen, wohin er wollte. Doch vielleicht war das nur sein Wunsch. Vielleicht beeinflusste er sie. Er durfte nicht frei sein! Seine Befreiung würde das Ende von Amuylett einläuten. Sie schwamm schnell fort von der Mauer, immer weiter, bis sie auf Perpetulja traf, die sie besorgt erwartete.
„Und?“, fragte die Schildkröten-Direktorin. „Hast du etwas herausgefunden?“
„Er gräbt ein Loch in seiner eingebildeten Bergwelt. Er glaubt nicht mehr daran. Er weiß, dass er eingesperrt ist!“
„Oh weh.“
„Er kann sich doch nicht befreien, oder?“
„Sein Tun hat in vieler Weise Einfluss auf uns“, sagte Perpetulja. „Es ist nicht abzusehen, was sein starker Wille bewirken wird. Ob er sich in unsere Wünsche schleicht und uns lenkt. Ob er uns verunsichert und sich in unsere Entscheidungen einmischt. Oder ob er eines Tages so randaliert, dass die Mauern von Sumpfloch über ihm einstürzen werden! Alles, was er über sich herausfinden wird, macht ihn mächtiger. Er hätte sein Bewusstsein nicht wiedererlangen
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