Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
erreichen mich Bilder davon. Von allen möglichen Menschen erreichen mich die Bilder ihrer Träume. Und bevor du jetzt einen Anfall bekommst, prüf erst mal nach, was du so alles aufschnappst!“
Damit hatte er natürlich ins Schwarze getroffen. Thuna bemühte sich, nicht in den Gedanken anderer Leute zu schwimmen. Doch ihr Talent wurde immer stärker und auch ihre Wahrnehmungen wurden immer deutlicher. So manches Mal erreichten sie die Geheimnisse von wildfremden Menschen, an denen sie vorüberging, nur weil diese Menschen gerade sehr intensiv an etwas dachten. Thuna konnte es nicht verhindern.
Trotzdem war sie sauer. Oder eher entsetzt. Sie wollte nicht, dass Grohann ihre Träume kannte. Das ging nun wirklich zu weit! Und als hätte er genau das gehört, versuchte er nun, sie zu beruhigen.
„Ich weiß nicht genau, was du träumst, aber ich bemerke dein Unbehagen und dass es schlechte Träume sein müssen. Ist auch kein Wunder, wenn man in Torcks Gedanken herumgeschwommen ist. Es quält dich!“
Thuna starrte aufs dunkle Wasser. Jetzt, in den Ferien, leuchteten die magikalischen Lampen hier unten auf Sparflamme. Das Licht reichte aus, um die blühenden Pflanzen an den Wänden mit Energie zu versorgen. Doch es war lange nicht so hell wie zu Schulzeiten.
„Perpetulja sagte, es sei wichtig“, erklärte Thuna. „Er ist übrigens aufgewacht.“
„Um das zu wissen, muss man nicht in seine Gedanken klettern.“
„Ach ja?“, fragte Thuna. Sie drehte ihm immer noch den Rücken zu und fixierte ärgerlich die gegenüberliegende Wand. „Wieso können Sie und Perpetulja dann nicht einfach darüber reden? Sagen Sie ihr doch, was Sie wissen, dann lässt sie mich vielleicht in Ruhe!“
„Ich habe es ihr schon gesagt. Er ist wach und er sucht nach der Wahrheit.“
„Das wissen Sie?“
„Ja. Die Erschütterungen haben sich verändert. Es sind jetzt echte Erschütterungen. Es steckt eine andere Kraft dahinter.“
„Warum wollte sie dann, dass ich nachgucke? Wenn sie es schon wusste?“
„Weil sie mich für einen Feind hält, der ihr die Unwahrheit sagt.“
Das war jetzt neu für Thuna. Natürlich wusste sie, dass die meisten Geschöpfe Grohann misstrauten. Aber glaubte Perpetulja tatsächlich, dass er sie anlog?
„Sie ist die Direktorin dieser Schule“, sagte Grohann, „und sie war immer eine Eingeweihte der Regierung. Einer Regierung, die es nicht mehr gibt. Ich habe die Macht hier in Sumpfloch übernommen. Sie hat nichts mehr zu sagen, sie ist nur noch dem Namen nach eine Direktorin.“
Grohanns Worte veranlassten Thuna jetzt doch, sich nach ihm umzudrehen. Es gab eigentlich nichts, was Grohann hätte tun können, um Thunas rätselhaftes Urvertrauen in ihn zu erschüttern. Nicht mal so etwas!
„Das geben Sie offen zu?“
„Es ist ja eigentlich kein Geheimnis. Dieser Ort ist zurzeit der strategisch wichtigste Ort der ganzen Welt. Den überlasse ich keiner Schildkröte und sei sie noch so klug und gebildet. Ich bin sogar bereit, mir jederzeit Perpetuljas Meinung anzuhören und sie zu berücksichtigen, aber die Schildkröte redet nicht mehr mit mir. Ich glaube, sie ist … beleidigt.“
Thuna musterte den Steinbockmann. Ihre Verwunderung über das, was er da so redete, hatte ihren Ärger fast verfliegen lassen. Auch die schlechten Gefühle, die sie gerade noch verfolgt hatten, waren viel schwächer geworden.
Halt, nein! Was war denn das für ein Unsinn? Sie hatte mittlerweile zu viel Erfahrung mit Grohann, um sich einfach so täuschen zu lassen. Er hatte das bewirkt! Er hatte sie mit seinen Worten abgelenkt und auf unsichtbare Weise auf ihre Gefühle eingewirkt. Ihre Ängste entschärft, sie besänftigt, seine ungewöhnliche Energie so eingesetzt, wie er das bei Gerald tat, wenn er aus der toten Welt zurückkam.
„Was machen Sie?“, rief sie. „Sie können doch nicht einfach in meine Gefühle eingreifen? Ohne mich vorher zu fragen?“
„Wie stellst du dir das vor? Soll ich fragen: Liebe Thuna, würde es dir etwas ausmachen, dich kurz mal von mir ablenken zu lassen, damit ich etwas gegen deine Alpträume unternehmen kann?“
„Warum nicht?“
„Sei nicht albern. Dir geht es jetzt besser, oder?“
Ja, es ging ihr besser. Viel besser. Es war, als hätte jemand all die Düsternis und Niedergeschlagenheit, die sie aus Torcks Gefängnis mitgenommen hatte, in etwas anderes verwandelt. Aus der düsteren Wolke war ein feiner, wohltuender Regen geworden. Thunas Seele blühte auf und das war eine
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