Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)

sehr aufmerksam ins Visier zu nehmen.
    „Sie haben das Wissen verändert?“, fragte sie. „Sie betrügen die Regierung?“
    „Ich will euch erst mal erklären, über was für ein Wissen wir hier reden“, sagte Grohann. „Die Zeichen von Tann schützen vor allem strategische Informationen. Wissen über die Aufstellung unserer Streitkräfte, Methoden der Kriegsführung, geheime wissenschaftliche Erkenntnisse und deren Anwendung wie zum Beispiel die Baupläne der Maküle. Es ist aber auch alles zusammengetragen worden, was wir über die Beschaffenheit von Amuylett wissen, seine Geschichte, seine magikalischen Quellen, seine blinden Flecken, seine Kreaturen, bekannt oder unerforscht ... Mit anderen Worten: Das Archiv, das die Zeichen von Tann ihren Besitzern enthüllen, ist so umfangreich, dass man es Jahrzehnte lang studieren könnte, ohne alles begreifen oder wissen zu können, was darin gesammelt wurde. Alleine, sich in dem Archiv zurechtzufinden, verlangt einige Erfahrung.“
    Grohann machte eine Pause, um zu überprüfen, ob ihm alle folgen konnten. Es sah ganz so aus.
    „All das Wissen ist der neuen Regierung und den neuen Trägern der Zeichen von Tann zugänglich. Das Wissen, das ich entfernt oder verändert habe, betrifft ausschließlich euch, die ihr hier sitzt. Es geht um das von den bisherigen Regierungen gesammelte Wissen über Erdenkinder, die Lilienpapiere und die Türen, die Ritter Gangwolf geschaffen hat. Ich habe beschlossen, der neuen Regierung ein paar wesentliche Informationen vorzuenthalten oder auch mal etwas umzuschreiben, um sie – sagen wir mal – in eine wünschenswerte Richtung zu lenken.“
    „Das ist Verrat!“, rief Viego Vandalez.
    Grohann zeigte sich ungerührt. Er wandte dem Halbvampir seine großen, braunen und immer leicht irritierenden Steinbockaugen zu und sagte:
    „Was sollte ich machen, Vandalez? Ich hatte die Wahl. Sie und Ritter Gangwolf müssten mich am allerbesten verstehen. Ich war dabei, als Präsident Mohikans Vorgänger darauf bestand, dass Geraldine eine tote Welt betritt, der sie nicht gewachsen war. Ich konnte es nicht verhindern. Selbst wenn ich meinen Dienst quittiert hätte, hätten sie es durchgezogen. Es lag nicht in meiner Macht, sie von ihrer Torheit zu überzeugen oder sie mit Gewalt an ihrem Vorhaben zu hindern. Jetzt, viele Jahre später, kann ich etwas tun. Ich kann der Regierung Geheimnisse vorenthalten, die sie zu weiteren Dummheiten verführen könnten. Was wird unsere Regierung tun, wenn die magikalischen Lecks immer größer und die abtrünnigen Reiche immer stärker werden? Und unsere Zeit abläuft? Sagen Sie es mir, Vandalez! Ich überlasse es Ihnen! Sagen Sie mir, dass Sie Mungo Bartok und seinen neuen Ministern mehr Vernunft zutrauen als mir und ich mache alles rückgängig!“
    Viego Vandalez blickte düster drein und schwieg. Alleine die Erwähnung von Geraldine reichte aus, um seine Stimmung zu verfinstern.
    „Ich habe ein zweites Archiv angelegt“, sagte Grohann. „Eines, das ich nicht verändert habe. Auch dieses Archiv habe ich mit neuen Zeichen von Tann geschützt und beabsichtige, sie auf sechs Träger aufzuteilen. Auf mich und auf fünf andere Personen, die ich für würdig erachte, eine solche Bürde zu tragen.“
    „Na, da muss ich mir ja mal keine Sorgen machen“, murmelte Ritter Gangwolf so laut, dass es jeder hören konnte. „Würdig sein ist nicht mein Fachgebiet.“
    „Befinden sich die Lilienpapiere im Archiv?“, fragte Berry. „Ich meine, der Originaltext?“
    „Die Regierung besitzt kein einziges Originalstück der Lilienpapiere. Doch jemand, der die Lilienpapiere vor Urzeiten in ihrer Gesamtheit studiert hat, hat seine Erinnerungen festgehalten. Und die sind Teil des Archivs.“
    „Es heißt, Hylda besäße einen Teil des Originals, nicht wahr?“
    „Einen wichtigen Teil, ja. Grindgürtel besaß einen weniger wichtigen, in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der Unbeugsamen. Ein dritter Teil ist verloren.“
    Viego Vandalez starrte vor sich hin. Er war vielleicht das einzige Wesen in dieser Welt, das die Lilienpapiere im Original und ihrer Gesamtheit kannte. Jedes einzelne Wort davon. Die Lilienpapiere waren in sein Gedächtnis eingebrannt und er konnte sie jederzeit abrufen. Doch es war kein Wissen, das ihn glücklich machte. Es war eine Last. Und er hatte beschlossen, dieses Wissen für sich zu behalten. Es sei denn, die Umstände zwangen ihn eines Tages dazu, sein Wissen zu verbreiten. Er hoffte aber, dass es