Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
der Stelle mit den alten Mauern, in denen noch Farbe steckte.
Als Grohann und Gerald heute Morgen in der Spiegelwelt zusammensaßen, um das Vorgehen für diesen Tag zu besprechen, wollte Gerald nicht länger vorsichtig sein.
„Ich werde den Ort, um den es geht, nur erreichen, wenn ich aufs Ganze gehe!“, sagte er zu Grohann. „Wenn ich nichts riskiere, werde ich in zehn Jahren noch die Außenmauern der Panzerstadt abklatschen und wieder nach Hause gehen!“
„Sei nicht so ungeduldig“, ermahnte ihn Grohann. „Du wirst einen Weg finden.“
„Aber mir gehen die Ideen aus! Ich habe alles probiert!“
„Du musst eben suchen.“
Gerald zeigte sich lustlos. Es machte keinen Spaß etwas zu suchen, wenn er nicht mal den Schimmer einer Hoffnung sah, dass er erfolgreich sein könnte. Da musste schon ein Wunder geschehen.
„Ich kann nicht durch die Luft fliegen, weil es keine gibt. Ich kann nur durch den Boden wachsen. Wenn ich es schnell mache, erreiche ich die Mauern, in denen ich weitersuchen muss. Fange ich aber an, dort zu suchen, fehlt mir die Kraft für den Rückweg. Nehmen wir jetzt mal an, ich fände in den Mauern die Wunde und könnte sie schließen – dann wäre die Welt nicht mehr tot. Ich könnte vielleicht angreifbar werden und zu Fuß zurücklaufen.“
„Könnte, würde, wäre!“, sagte Grohann grimmig. „Du kannst weder darauf zählen, dass du die Wunde beim ersten Mal findest, noch damit rechnen, dass du sie dann auch schließen kannst. Und ob du im Fall des Falles tatsächlich atmen könntest, wenn die Welt geheilt ist, wissen wir überhaupt nicht!“
„Aber ich könnte wenigstens nachschauen, ob die Wunde dort ist! Im schlimmsten Fall schaffe ich es nicht zurück, dann haben wir immer noch das Mond –“
Ein lautes Klirren unterbrach Geralds Rede. Maria war ins Zimmer getreten und hatte ein ganzes Tablett mit Teetassen zu Boden fallen lassen. In tausend Scherben lag das Geschirr über den Dielenboden verteilt und Maria stieg, blass und verärgert, darüber hinweg.
„Bist du noch bei Trost?“, fuhr sie Gerald an. „Das darfst du nicht tun! Niemals!“
„Da gebe ich ihr ohne Einschränkung recht!“, sagte Grohann. „Schlag dir solche dummen Ideen aus dem Kopf. Wir brauchen dein zweites Leben, sonst können wir gar nichts mehr ausprobieren. Abgesehen davon sollte man sich nie hundertprozentig darauf verlassen, dass das Mondpapier einwandfrei funktioniert. Auch damit kann etwas schiefgehen! Es reicht, wenn nur ein Hauch von dir in der toten Welt lebendig bleibt. Dann wird es kein zweites Leben geben.“
Da er auf so viel Widerstand stieß, gab Gerald nach. Aber nicht gerne. Und am Ende wäre es doch seine Entscheidung, ob er einen Weg ohne Rückkehr wählte oder nicht. Sicher war es zu riskant. Doch wenn der Fortschritt noch zu lange ausblieb …
„Wag es nicht!“, sagte Maria, die erraten haben musste, was er dachte. „Nur weil es dir zu langweilig ist, den gleichen Weg zum zwanzigsten Mal zu gehen!“
„Zu langweilig?“
„Kratz nicht an seinem Stolz, Maria. Das macht Jungs erst recht leichtsinnig.“
Es war ein Spruch, den Grohann nur so dahinsagte, aber Gerald machte es extrem ärgerlich. Er wusste gar nicht genau, warum, aber es hielt ihn auf jeden Fall vom klaren Denken ab.
„Ihr lasst mich jetzt am besten in Ruhe“, sagte er zu Maria und Grohann. „Es wäre komplett sinnlos, ohne einen neuen Plan in die tote Welt zu gehen. Ich muss nachdenken. Vielleicht haut ihr einfach ab und gebt jemand anderem gute Ratschläge!“
Grohann stand auf und gab Maria ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie verließen das Zimmer und schlossen die Tür hinter sich, sodass Gerald alleine zurückblieb. Er starrte die Scherben an, die immer noch auf dem Boden lagen, und weil ihm nichts Besseres einfiel, machte er sich daran, sie aufzuheben.
Es tat ihm leid, dass die Tassen kaputt waren, denn sie waren sehr hübsch gewesen. Es gab eine Tasse, die schmückte ein Muster aus Klatschmohn und sie hatte eine kleine abgeschlagene Stelle am Rand. Gerald trank seit Wochen aus dieser Tasse und jetzt bestand sie nur noch aus Scherben. Es war ein Jammer, denn irgendwie hing er an ihr.
Sein Ärger verflog so schnell, wie er gekommen war. Er wusste ja, dass Grohann und Maria recht hatten. Es lag auch nicht an ihnen, dass er sich seine mangelnden Fortschritte so zu Herzen nahm. Die Zeit drängte, sie mussten vorankommen. Alles hing davon ab, dass er erfolgreich war und alles richtig machte. Unter diesen
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