Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
war. Von Maria war nur ein Arm zu sehen, der Arm, den Estephaga in den Spiegel hielt. Es war ein trostloser, erschütternder Anblick, denn aus diesem Arm war alles Leben gewichen. Bleich und schlaff lag ihre Hand im Rahmen des Spiegels, ab und zu zuckten ihre Fingerspitzen und zeugten davon, dass die Hand zu einer Person gehörte, die noch nicht tot war. Gerald hätte sie am liebsten ergriffen und festgehalten, doch das hätte niemandem geholfen. Maria hätte es überhaupt nicht bemerkt und er wäre nur den Leuten im Weg gewesen, die dabei waren, die Spiegelwelt zu verlassen.
Lisandra musste mit den Ghulen bis zuletzt bleiben, denn die wollte Grohann persönlich hinausdirigieren. Doch als sich der Raum zur Hälfte geleert hatte und Grohann glaubte, er könne den Rest alleine schaffen, schickte er Scarlett, Hanns und Gerald nach Sumpfloch zurück.
„Sorgt dafür, dass Maria sofort auf die Krankenstation kommt, wenn der Letzte die Spiegelwelt verlassen hat – also ich. Hanns, ich traue dir zu, dass du sie tragen und gleichzeitig fliegen kannst, obwohl nicht viel Platz ist. Ist das so?“
„Ja, das schaffe ich.“
„Gerald, du übernimmst Maria von Estephaga und hältst weiterhin ihre Hand in den Spiegel. Estephaga soll in der Krankenstation alles vorbereiten.“
„Was vorbereiten?“, fragte Scarlett.
„Die Geräte, die Maria hoffentlich am Leben erhalten. Scarlett, du suchst Hylda. Ich brauche sie, sie soll auch auf die Krankenstation kommen!“
„War sie nicht hier?“, fragte Gerald.
„Ging nicht“, erklärte Scarlett. „Maria ist das erste Mal kollabiert, als Hylda den Spiegel berührt hat. Danach wollte es Grohann nicht mehr riskieren. Selbst Hylda wollte es nicht mehr. Hatte wohl Angst um ihren Schlüssel vierten Grades!“
Gerald, Hanns und Scarlett kamen bald an die Reihe und kletterten einer nach dem anderen in den Trophäensaal zurück. Es war mittlerweile Nacht geworden und Gerald begann daran zu zweifeln, ob die Viertelstunde nicht doch eine ganze Stunde gewesen war. Magikalische Fackeln brannten an den Wänden und die Verletzten, die hier vorhin noch gelegen hatten, waren größtenteils abtransportiert worden.
Gerald hielt Maria fest, als Estephaga sie losließ, und nahm sie wieder in seine Arme. Dabei achtete er darauf, dass Marias Hand im Spiegel liegen blieb, zusammen mit seiner eigenen. Immerhin das konnte er jetzt tun: ihre Hand halten, damit sie nicht mehr so verloren in die Spiegelwelt ragte.
Lange, schrecklich lange schien es zu dauern, bis Grohann endlich mit Lisandra und den Ghulen aus dem Spiegel trat. Wie verabredet holte Gerald sofort Marias Hand aus dem Glas und zog sie vom Spiegel weg. Er reichte Maria an Hanns weiter, der sich in ein geflügeltes Affenwesen verwandelte, das Maria mit seinen kräftigen Armen packte und so schnell davonflog, dass man sich später nicht mehr darüber einigen konnte, ob Hanns ein bronzefarbener Muchino oder ein schwarz gefleckter Tavian gewesen war. Beide Affenarten standen in dem Ruf, leidenschaftliche und überaus gefährliche Menschenjäger zu sein, und es war nicht nur bemerkenswert, sondern auch verwunderlich, dass Hanns ihre Erscheinungsform beherrschte.
Als er weg war – und Maria mit ihm – merkte Gerald erst, wie erschöpft er war. Er war unendlich müde. Doch er wollte nicht schlafen und sich auch nicht ausruhen. Er wollte in die Krankenstation gehen, nur leider machten seine Beine etwas anderes. Sie gehorchten ihm nicht, sondern zwangen ihn dazu, im Trophäensaal auf dem Boden zu sitzen und sich nicht zu rühren. Noch immer spürte er das Gewicht der bewusstlosen Maria in seinen Armen, obwohl sie nicht mehr da war.
Eine Maküle fragte ihn, ob er Hilfe brauche, und er verneinte es. Dabei starrte er vor sich hin. Er wusste nicht, wie lange. Woher war der Angriff gekommen? Warum waren die Türen nicht sicher gewesen? Sein Vater, Ritter Gangwolf, war gerade unterwegs, um eine Tür an der Ostküste von Amuylett zu schließen. Er hatte hoffentlich nichts damit zu tun. Ihm passierten vielleicht Fehler, aber normalerweise tarnte er die Türen gut und ließ sie nicht offen stehen. Ein Angriff wie dieser musste lange geplant worden sein. Was bedeutete, dass man in Hornfall und Gorginster gewusst hatte, wie man in die Spiegelwelt eindringen kann. Doch wie und warum, das konnte Gerald nicht verstehen und deswegen hörte er auch auf, darüber nachzudenken.
Er sah sich um und entdeckte eine von Marias Haarspangen auf dem Boden. Sie lag
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