Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
friedlicher aussehen können, als es das gerade tat. Ihre Haare, die Gerald wahrscheinlich noch nie ohne eine einzige Haarspange gesehen hatte, fielen über das Kopfkissen und die Bettdecke, flachsblond mit dunkleren Strähnen, in der gleichen Farbe, die sie in Geralds Heimatwelt gehabt hatten. Er wusste nicht, ob es Zufall war, oder ob ihre Fantasie so gelitten hatte, dass sie niemanden mehr über ihre echte Haarfarbe im Ungewissen lassen konnte.
Es tat Gerald sehr gut, einfach nur hier zu sitzen und die schlafende Maria anzusehen. Er erholte sich dabei besser als während der Stunden, in denen er selbst geschlafen hatte, denn in ihm breitete sich eine Gewissheit aus, die ihm niemand nehmen konnte: Er hatte das Richtige getan. Egal, was noch passieren würde, ganz gleich, was Torck anrichten würde – Maria musste leben! Und wenn sie jetzt tot gewesen wäre, hätte nichts mehr gut werden können.
Es verging wohl eine Stunde auf diese Weise. Zwischendurch betrat Krankenpersonal den Raum und verließ ihn wieder und sie alle behandelten Gerald wie Luft, obwohl er doch eindeutig sichtbar und greifbar war. Sie überprüften Marias Zustand, die wenigen noch angeschlossenen Geräte und schienen mit dem, was sie herausfanden, zufrieden genug zu sein, um die Patientin wieder mit Gerald alleine zu lassen.
Schließlich kam Grohann.
„Wie geht es dir, Gerald?“, fragte er.
„Mir?“, fragte Gerald erstaunt zurück. „Das ist die erste Frage, die Ihnen einfällt?“
„Ja, so ist es. Bekomme ich auch eine Antwort?“
„Mir geht es … einigermaßen. Ich bin müde und kaputt, ich bin froh, dass Maria lebt, und ich versuche mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich Torck befreit habe. Außerdem bemühe ich mich, damit klarzukommen, dass ich neuerdings schief, unfreundlich oder gar nicht angeguckt werde. Ich war mein Leben lang beliebt, das ist eine ganz neue Erfahrung für mich.“
„Man gewöhnt sich daran, das kann ich dir verraten.“
Grohann holte sich einen Stuhl und setzte sich auf die andere Seite von Marias Bett.
„Gerald, gibt es eine Möglichkeit, deinen Vater zu erreichen? Ich müsste ihn sehr dringend sprechen!“
„Wenn er weg ist, ist er weg. Er sorgt dafür, dass man ihn ganz bestimmt nicht erreichen kann, und egal, wie dringend es ist, man kann nur herumsitzen und Däumchen drehen, bis es ihm in den Kram passt, wieder aufzutauchen.“
„Ah, ich sehe, du kennst dich aus.“
„Das kann man wohl sagen.“
„Zu dumm ist das“, meinte Grohann. „Er muss mir unbedingt erklären, was es mit den beiden Türen auf sich hat, durch die die Streitmächte zweier Länder ungehindert in die Spiegelwelt spaziert sind.“
„Ich habe Hargo vom Krummen Hahn gesehen. Heißt das, dass die eine Tür nach Hornfall führt?“
„Ja, das stimmt.“
„Was ist mit Hargo passiert? Er war irgendwann weg.“
„Scarlett und Hanns haben ihn verletzt und damit in die Flucht geschlagen. Das ist eine beachtliche Leistung und sie hat uns wahrscheinlich gerettet. Hargo wollte sich nach Hornfall zurückziehen, aber ich dachte, es ist besser, wenn er niemals dort ankommt. Ein Unbeugsamer weniger, mit dem wir uns herumschlagen müssen.“
„Ist er tot?“
„Das wollte ich damit ausdrücken. Corvina haben wir leider nicht erwischt. Sie muss in der Spiegelwelt gewesen sein, aber man hat sie nicht gesehen, weil sie den Schlüssel ihres Vaters benutzt hat. Den, der unsichtbar macht.“
„Aber nicht unangreifbar.“
„Nein, das kann sie zum Glück nicht.“
„Die eine Tür führt also nach Hornfall“, sagte Gerald. „Und die andere?“
„Nach Amuylett. Wo da, weiß ich leider nicht.“
Gerald hatte die ganze Zeit Maria beobachtet, doch jetzt schaute er Grohann erschrocken an.
„Reden wir über die Vorder- und Rückseite der gleichen Tür?“, fragte er.
„Das tun wir. Es handelt sich um die verdammte Tür, die es gar nicht geben dürfte, weil sie zwei Orte in derselben Welt verbindet. Was weißt du darüber?“
Was Gerald darüber wusste, machte ihm Angst. Was hatte sein Vater mit alldem zu tun? War er Teil der Verschwörung? Die Angreifer hatten über die Vorgänge in der Spiegelwelt genauestens Bescheid gewusst. Sie hatten gewusst, dass sie nicht in der Spiegelwelt eingeschlossen werden würden, solange er, Gerald, in der toten Welt war. Wer hatte ihnen das erzählt? Wer? Gerald wurde heiß und kalt, doch beim nächsten Gedanken beruhigte er sich wieder. Nein, es konnte nicht sein, dass sein Vater
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