Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
nicht die geringste Ahnung hatte, wie er sie vertreiben oder bekämpfen sollte. Er wusste noch nicht mal, wie er Thuna hinüberbringen könnte, ohne sie in Lebensgefahr zu bringen.
Eins wusste Grohann aber bestimmt und das erklärte er auch der Not-Regierung: Er war bei der weiteren Besiedlung auf Geralds Hilfe angewiesen. Nur Gerald war es möglich, die neue Welt unbeschadet zu erkunden und mögliche Gefahren ausfindig zu machen. Zudem sei Geralds Verdienst nicht hoch genug einzuschätzen – er habe mehrmals sein Leben riskiert, um die Wunde zu schließen, und sei bis zum Äußersten gegangen.
Grohann war so überzeugend, dass zehn Tage nach Torcks Befreiung eine Abordnung der Regierung eintraf, um Gerald doch tatsächlich einen Orden zu überreichen. Während das geschah, mit einem angemessenen Brimborium, hatte Gerald seine liebe Not, die ganze Zeit ein ernstes Gesicht zu machen. Vor allem, weil er fand, dass der Orden wie ein angenagter goldener Apfel mit Ohren aussah. Doch er gab tapfer den Helden und die Fotos, die nachher in allen Zeitungen abgedruckt waren, konnten sich sehen lassen.
Natürlich war in den Zeitungen nicht zu lesen, dass Amuylett untergehen würde und er die Wunde einer neuen Welt verschlossen hatte. Sondern er wurde für seine Tapferkeit ausgezeichnet, die er bei erfolgreichen Missionen von höchster strategischer Bedeutung für Amuyletts Sicherheit unter Beweis gestellt habe. Danach hielt man ihn außerhalb von Sumpfloch für einen sehr jungen Spezialagenten mit Superkräften.
In Sumpfloch selbst blieb alles beim Alten und abgesehen von der Verleihungsveranstaltung hatte Gerald zurzeit keine Pflichten und Aufgaben. Er hätte sich erholen können von den Strapazen der letzten Wochen, aber so richtig glücklich fühlte er sich nicht. Ein Grund hierfür war das Ausbleiben seines Vaters. Ritter Gangwolf war immer noch nicht zurückgekehrt und Gerald fürchtete abwechselnd, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte oder er womöglich doch in die Verschwörung verwickelt war, obwohl er sich das nicht vorstellen konnte.
Grohann war es unterdessen gelungen, das Zuhause der Spinnenfrau im bösen Wald ausfindig zu machen und damit auch die Tür zu entdecken und entsprechend bewachen zu lassen. Erobert werden musste die Tür nicht – es war niemand mehr dort, weder die Spinnenfrau noch sonst irgendwelche Krieger, Zauberer oder Wächter. Der Ort war verlassen und es wurden keine Spuren entdeckt, die Aufschluss darüber hätten geben können, wer den Angriff auf die Spiegelwelt eingefädelt und organisiert hatte.
Diese Ungewissheit war nicht das Einzige, was Gerald auf die Stimmung drückte. Es war auch die Erinnerung an das fünfte Erdenkind in der toten Welt, die ihn nicht mehr losließ. Obwohl er dieses fünfte Erdenkind nur so kurz gekannt hatte und sie nur wenig miteinander gesprochen hatten, hatte es eine starke Wirkung auf ihn gehabt. Er dachte oft an dieses Geschöpf zurück, das unvorstellbar lange gelebt hatte und dessen letzte Gedankengänge er hatte mit anhören dürfen.
War es beruhigend oder beängstigend, dass all ihre Wünsche nur noch um ihre Erinnerungen und das vergangene Glück gekreist hatten? Dass alles, was sie jemals geliebt hatte, verloren war und diese Liebe dennoch das Einzige war, was sie am Leben erhielt? Und dass es ihr leicht fiel zu sterben, nachdem sie zu hoffen begonnen hatte, dass sie wiederfinden könnte, was sie vermisste, indem sie sich verwandelte?
Was auch immer Gerald in diesen Tagen begegnete, erinnerte ihn an dieses fünfte Erdenkind. Zum Beispiel, als er in Hauls Zimmer lief, um ihm etwas zu erzählen, und dort auf ein Paar traf, das sich gegenübersaß, Stirn an Stirn. Er zog sich sofort zurück, hatte aber mitbekommen, dass sie über Hauls Vergangenheit sprachen, insbesondere die Zeit, nachdem Grindgürtel seinen Sohn von den Toten erweckt hatte. Es mussten grausame Dinge zu dieser Zeit passiert sein, das hatte Gerald schon mitbekommen, aber natürlich ging es ihn nichts an, was Haul so alles mit sich herumschleppte, es sei denn, er erzählte es ihm.
Er erzählte es aber offensichtlich nur Lisandra, die in dem Moment, als Gerald ins Zimmer platzte, so traurig aussah, als müsste ihr gleich das Herz brechen. Gerald machte also schnell kehrt und schloss die Tür und dachte an das fünfte Erdenkind in der toten Welt. Wenn es wirklich einmal so käme, dass Lisandra uralt und alleine wäre, dann würde sie sicher zurückblicken und sich erinnern, genauso
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