Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
sie.“
„Ja, ich glaube schon. Sie war damals auch noch anders. Weniger melancholisch. Eher ein Partygirl, das leider eingeworfen hat, was es kriegen konnte. Es gab eine Zeit, da müssen sie viel Spaß zusammen gehabt haben. Weil sie beide gerne davonlaufen und so tun, als gäbe es kein Morgen. Wenn ich es richtig deute – ich weiß das alles ja nur aus Erzählungen – dann hat er damals wirklich versucht, einen guten Einfluss auf sie zu haben. Er war kaum noch in Amuylett, er wollte bei ihr sein. Aber dann ist das mit meiner Tante passiert und Viego ist abgestürzt. Danach wurde alles anders. Meine Mutter sagt, er war nie mehr derselbe nach dem Tod seiner Schwester.“
„Hat sie sie kennengelernt?“
„Ja, sie haben sich ein- oder zweimal gesehen. Meine Mutter sagt, sie mochte Geraldine, aber es hat sie gestört, dass sie für meinen Vater so wichtig war. Wichtiger als meine Mutter.“
„Oh, das tut mir leid.“
„Ich weiß nicht, ob das wirklich so war. Vielleicht. Jedenfalls hat Geraldines Tod nicht gerade dazu beigetragen, dass mein Vater sich fröhlicher in enge Beziehungen stürzt. Es hat eher seinen Drang zur Flucht verstärkt. Er war kaum noch hier, angeblich, weil er sich um Viego kümmern musste. Das musste er wirklich, aber es war auch eine willkommene Ausrede. Meine Mutter war zu der Zeit schwanger und sowieso durcheinander, weil sie Angst davor hatte, Mutter zu werden. Dann kam ich auf die Welt. Mein Vater hat mich gleich nach Amuylett gebracht, um mich Viego zu zeigen. Er bestand darauf, dass ich Gerald heiße und Viego mein Patenonkel wird.
Ein paar Monate lang fand er es ganz toll, Vater zu sein. Aber auf Dauer hat es nicht geklappt. Er und meine Mutter haben sich viel gestritten, beide haben ihr Leben vermisst, wie es vorher war. Ihre Freiheit. Warum es jetzt genau schiefging, weiß ich nicht. Irgendwann ist mein Vater abgehauen und hat sich nur noch selten blicken lassen. Eines Tages hat er begriffen, dass es nicht mehr so weitergeht. Ich war damals sechs und meine Mutter nicht mehr die Person, die er mal gekannt hatte. Er war entsetzt darüber, wie wir leben und dass sie mich so vernachlässigt. Sie musste dringend in eine Klinik und er bekam ihr Einverständnis, mich mitzunehmen. Seitdem lebe ich in Amuylett.“
„Und Lulu? Wer ist ihr Vater?“
„Das weiß niemand, nicht mal meine Mutter. Sie war ziemlich überrascht, als Lulu auf einmal unterwegs war. Sie hat keine Ahnung, wie es dazu gekommen ist. Wer meine Mutter kennt, wundert sich nicht darüber. Alle haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, mein Vater meinte, sie solle das Kind zur Adoption freigeben, weil sie es ja doch nicht schaffen würde, sich darum zu kümmern. Aber sie hat sich zusammengerissen und die ersten Jahre klappte es wirklich ganz gut. Vor ein paar Jahren ging es dann leider wieder bergab.“
„Aber es ist nicht zu ändern, oder?“
„Du meinst, ihr Zustand?“
Maria nickte.
„Nein, ich glaube nicht.“
„Manchmal habe ich Angst, dass es mir ähnlich ergehen könnte“, sagte Maria. „Es ist so viel in meinem Kopf, so viele Bilder und Räume und Gestalten, von denen ich nicht weiß, woher sie kommen. Früher hatte ich Mühe, das alles zu sortieren, vor allem, wenn ich abgefragt wurde oder einen Aufsatz schreiben sollte. Jetzt gehe ich in Gedanken in die Spiegelwelt, sortiere die Bilder dort und schreibe auf, was ich sehe. Das ist umständlich, aber so funktioniert es besser.“
„Ist es hier auch so?“, fragte Gerald. „Die Verwirrung in deinem Kopf?“
„Nein. Hier ist alles viel klarer. Ich merke zwar, dass ich sehr viele Bilder in meinem Kopf habe, auch unverständliche Bilder, aber sie lassen sich ordnen, sie sind nicht spiegelverkehrt und sie haben meistens eine Reihenfolge. Klingt das jetzt verrückt?“
„Ich finde nicht. Es klingt, als ob du dich in deinem Kopf sehr gut auskennst.“
„Das hoffe ich, aber sicher bin ich mir nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass ich mich eines Tages in meinem Kopf genauso schlimm verlaufe, wie es deine Mutter getan hat. Und das will ich nicht.“
„Das wirst du auch nicht“, sagte Gerald zuversichtlich.
Er beugte sich über den Tisch, legte kurz seine Hand auf Marias und sah für einen Moment so direkt in Marias Augen, dass sie fürchtete, er könnte erkennen, wie sehr sie ihn mochte. Was ihr sehr unangenehm gewesen wäre. Aber nichts in dem Blick seiner warmen, braunen Augen ließ darauf schließen. Er sagte nur
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