Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
die Spinnenfrau lebte, wenn sie nicht auf Reisen war. An diesem Ort hatten Gangwolf und Geraldine ihre ersten Jahre in Amuylett verbracht.
Hier wartete Ritter Gangwolf nun auf die Ankunft seiner alten Freundin und überzeugte sich davon, dass sie auf ihrer Rückreise von Tolois nicht zu Schaden gekommen war. Sie erzählte ihm, dass die gegenwärtige Krise sie zu Umwegen gezwungen habe, doch ansonsten ging es ihr gut. Als das geklärt war, sprachen sie über die jüngsten Neuigkeiten.
„Dorn ist in die Spiegelwelt eingebrochen?“, fragte sie interessiert. „Wie ungeschickt von ihm! Ich hätte es anders angestellt.“
„Er muss sehr siegessicher gewesen sein.“
„Meinst du?“, fragte die Spinnenfrau und der Blick aus ihren vielen blauen Augen verriet Gangwolf, dass sie etwas anderes glaubte. „Ich hoffe, deinem Jungen ist nichts passiert.“
„Er ist bestimmt durch die Tür nach Augsburg geflohen. Ich hätte es genauso gemacht an seiner Stelle. Also fahre ich nach Hause und hole ihn ab. In ein paar Tagen.“
Die Spinnenfrau lachte.
„Oh, Gangwolf, dein Gemüt möchte ich haben! Mich macht diese ganze Verschwörung nervös, aber dich offensichtlich überhaupt nicht!“
„Was soll ich mich aufregen? Ich weiß ja nicht mal, ob ich für die richtige Seite arbeite. Ich bin nicht so kompromissbereit wie Viego. Dieser Grohann ist mir zu selbstherrlich!“
„Manche behaupten, er stamme von Amuytan ab.“
„Von Amuytan? Dem Satyr? Hm. Möglich wär’s. Aber was kümmert mich das? Er wäre dann der letzte seiner Art und auch nur ein Mischling. Wahrscheinlich wird er älter als wir alle, stirbt trotzdem irgendwann und dann verschwindet seine ach so ehrwürdige Spezies mit ihm. Das tut mir leid für den Ziegenbock, aber muss ich mich deswegen vor ihm in den Staub werfen? Ich glaube nicht.“
„Gangwolf! Denk doch mal nach. Er könnte Nachkommen haben, eines Tages.“
„Das ist doch lächerlich.“
„Findest du? Wenn er wirklich Amuytans Nachfahre ist, muss das sein Ziel sein!“
„Ach, Quatsch, Alabastra. Das glaube ich nicht. Uh, ne, wenn es so wäre, würde ich erst recht nicht beim ihm mitmachen wollen.“
Schon wieder sah die Spinnenfrau so aus, als hätte sie ihre ganz eigene Meinung zu dem Thema. Gangwolf kannte diesen Blick. Als kleiner Junge hatte er sich noch darüber geärgert und hatte sie bedrängt, ihm ihre wahren Gedanken zu verraten. Mittlerweile machte er das nicht mehr.
„Stell dich gut mit ihm, Gangwolf. Der Mann könnte noch sehr wichtig werden.“
„Weiß ich doch.“
„Es sei denn, Dorn bringt ihm um.“
„Ich mag sie beide nicht.“
„Das ist auch besser so. Feinde und Verbündete sollte man nicht lieben.“
„Komisch, das habe ich heute schon einmal gehört.“
Die Spinnenfrau lächelte.
„So etwas kann man sich nicht oft genug anhören“, sagte sie und legte Gangwolf vorsichtig die Hand mit dem giftigen Stachel auf den Arm. „Blindes Vertrauen ist etwas für Narren.“
Nach einer Woche also stand Ritter Gangwolf eines Morgens vor der Wohnungstür, um Gerald und Maria abzuholen. Maria rutschte das Herz tiefer, als sie ihn sah. Es war nämlich so, dass sie jeden einzelnen Tag in der fremden Heimatwelt genossen hatte, jede Minute und jede Sekunde, und die Vorstellung, dass nun alles vorbei wäre, schmerzte sie sehr.
Am Anfang war es noch sonderbar gewesen, vor allem, als sie gleich am ersten Vormittag von Lulu in einen Laden namens H&M geschleift wurde, damit sie dort ein billiges T-Shirt, einen Rock und Sandalen erstand, mit denen sie weniger Auffallen erregte als mit der Puffärmelbluse und den silbernen Stiefeletten. Unter Lulus Anleitung in Amuylett-Kauderwelsch fand Maria zwei Kleidungsstücke und ein Paar Schuhe, die ihr angeblich „mega“ passten und in denen sie sich auch nicht zu seltsam vorkam. Etwas unsicher war sie noch, als sie in der Erdenkluft den Laden verließ, doch Gerald nickte anerkennend und sagte „hübsch“, was sie so verlegen machte, dass sie fast in einen Brezelwagen hineingelaufen wäre. Gerald war nun in Jeans unterwegs, so wie die meisten Jungs in dieser Welt, und trug dazu Sneakers – eine Schuhsorte, die es in Amuylett nicht gab.
Von da an ging es Schlag auf Schlag mit Marias Horizont-Erweiterung: Mc Donalds (hektisch wie ein Bahnhof, aber auch faszinierend), Frauenkirche (irgendwie besonders, vor allem der Teufelstritt), Hugendubel (ein Laden voller Bücher, die Maria nicht lesen konnte, weil sie die Sprache nicht
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