Feuerscherben
bisexuell oder sonst was bist. Du bist meine beste Freundin.«
»Und trotzdem traust du mir nicht.«
»Es liegt nicht an dir«, sagte Dianna. »Ich traue niemandem!« Das Bedürfnis, die Freundin anzuschreien, überwältigte sie beinahe. Doch sie riss sich zusammen. Starke Gefühle machten ihr Angst. Wer zu tief empfand, verlor leicht die Beherrschung. Und Dianna war entschlossen, nie mehr im Leben die Kontrolle über sich aus der Hand zu geben.
Sie musste sich unbedingt bewegen, wenn sie nicht aus der Haut fahren wollte. Deshalb sprang sie auf, und der arme Gregory taumelte zu Boden und miaute erbost. »Du verstehst das nicht, Sonya.«
»Nein, das tue ich tatsächlich nicht.« So wütend hatte Dianna die Freundin noch nie erlebt. »Versuch, es mir zu erklären. Sprich schön langsam, und benutze einfache einsilbige Wörter. Vielleicht begreife ich es dann.«
Dianna wusste, dass der Augenblick der Wahrheit gekommen war. Wenn sie jetzt nicht ehrlich zu Sonya war, würde ihre Freundschaft einen erheblichen Riss erleiden, wenn nicht sogar zerbrechen. Es war so lange her, dass sie sich jemandem anvertraut hatte, dass es beinahe körperlich schmerzte.
Sie holte tief Luft, atmete aus und wieder ein. »Ich will Andrew Campbell zu Fall bringen, weil er versucht hat, Claire zu töten«, begann sie und sprach klar und deutlich. »Er wollte seine eigene Tochter umbringen. Deshalb ist er nicht für ein Öffentliches Amt geeignet.«
Sonyas Augen wurden schmal. Sonst zeigte sie keine Reaktion auf Diannas ungeheuerliche Beschuldigung. »Woher weißt du das? Hast du einen Beweis?«
»Nein, ich habe keine Beweise. Kein schriftliches Dokument oder irgendwelche Fotos. Aber ich bin hundertprozentig sicher, dass es stimmt.«
»Und weshalb? Woher könntest du davon erfahren haben?«
Dianna hob den Briefbeschwerer auf und betrachtete die unzähligen, sich brechenden Farben. »Weil Claire es mir erzählt hat«, antwortete sie.
Sonya keuchte hörbar. Es war das einzige Anzeichen dafür, dass sie überrascht war. Doch aus einem unerfindlichen Grund blieb ihre Miene finster. »Wie hast du die echte Claire Campbell kennengelernt?«, fragte sie. »Du stammst aus Kalifornien. Zumindest hast du das behauptet. Du bist erst seit einigen Jahren an der Ostküste. Wo hast du sie getroffen?«
Dianna verzog den Mund. »Wir haben uns in der geschlossenen Abteilung einer staatlichen New Yorker Nervenklinik kennengelernt.«
Sonya wusste, dass Dianna unter schweren Depressionen gelitten hatte und deshalb im Krankenhaus gewesen war. Daher nahm sie die Erklärung ohne weiteres hin. »Wenn du Claire in der Nervenklinik kennengelernt hast, litt sie vermutlich an erheblichen seelischen oder psychischen Problemen. Weshalb hast du ihr geglaubt? Die Beschuldigung, der eigene Vater hätte sie umbringen wollen, ist absolut ungeheuerlich angesichts eines so angesehenen Bürgers wie Andrew Campbell. Außerdem ist es genau das, was junge Frauen mit psychischen Störungen häufig behaupten.«
Dianna fand Sonyas Verhalten ziemlich merkwürdig. Die Freundin reagierte beinahe teilnahmslos. Weshalb wunderte Sonya sich nicht stärker, dass sie, Dianna, die echte Claire Campbell tatsächlich gekannt hatte? Vor allem: Weshalb setzte sie plötzlich alles daran, Andrews Ruf zu verteidigen? Dianna drehte den Briefbeschwerer zwischen den Händen. Es war eines der ersten Stücke, das sie nach Abschluss der Kunstakademie angefertigt hatte, und sie liebte den geheimnisvollen Wirbel aus Farbstreifen in dem erstarrten Glas noch immer. Hübsche Glasobjekte zu machen ist so leicht, dachte sie wehmütig. Wäre das Leben wenigstens halb so einfach.
Sie legte das Gewicht auf den Tisch zurück und nahm ihren ganzen Mut zusammen, um Sonya alles zu erzählen. Genauer gesagt, beinahe alles.
»Ich habe Claire Campbell kennengelernt, kurz nachdem ich zum ersten Mal von zu Hause weggelaufen war«, begann sie endlich. »Wir verbrachten drei Monate gemeinsam im Krankenhaus, und unsere Freundschaft wurde immer enger.« Sie lächelte kläglich. »Wenn man in einer Nervenklinik eingesperrt ist, mag man seine Mitbewohner sehr, oder man verabscheut sie. Dazwischen gibt es nichts. Und ich mochte Claire sehr.«
»Eine seelisch gestörte junge Frau zu mögen, heißt noch lange nicht, dass man ihre wilden Geschichten über ihren Vater glauben muss.«
Dianna runzelte die Stirn und überlegte einen Moment ob sie sich den trotzigen Ton in Sonyas Stimme nur einbildete. »Trotzdem stimmen sie«,
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