Feuerschwingen
der Verzweiflung war zu lebhaft. Schließlich sprach sie weiter, ohne Lucian anzusehen. Das Letzte, was sie bei dieser Lebensbeichte gebrauchen konnte, war sein Mitleid.
»Die Army war nichts für mich.« Ohne es zu wollen, verzogen sich ihre Lippen. Aber es war ein bitteres Lächeln, das sie zeigte. »Wie du inzwischen weißt, habe ich gewisse Probleme, mich … einem autoritären Führungsstil unterzuordnen.«
Lucian gab einen merkwürdigen Laut von sich, aber als sie aufsah, blieb sein Gesicht ausdruckslos.
Höchstwahrscheinlich interessiert ihn das alles überhaupt nicht, dachte sie. Doch das war ihr ganz gleich, sie hatte angefangen und würde jetzt nicht aufhören.
»Anthony habe ich zufällig in dem Pub kennengelernt, in dem ich damals nach meiner Militärzeit arbeitete. Er war freundlich, unaufdringlich – was man von manch anderen Gästen nicht unbedingt behaupten konnte –, und er hat mich mit Florence bekannt gemacht, weil sie eine Mitbewohnerin und ich eine Wohnung suchte. Nicht lange danach fing ich an, ihr in geschäftlichen Dingen zu helfen. Sie ist furchtbar schlecht darin, ihr Geld zusammenzuhalten«, fügte sie hinzu, »und Anthony und ich wurden Freunde.«
Sie spürte, dass er etwas sagen wollte, und hob die Hand, weil sie die Geschichte ungestört zu Ende bringen wollte. »Zugegeben, er will Karriere machen und arbeitet deshalb viel. Außerdem …«
Wie sollte sie ihm bloß erklären, dass sich Anthony bisher vergeblich bemüht hatte, ihr nahezukommen? Mila fasste sich ein Herz. »Ich wollte mich nicht mit ihm einlassen, bevor es nicht offiziell ist.« Wie peinlich!
Schnell sprach sie weiter. »Es gab Streit deswegen. Wir haben verabredet, nach seiner Rückkehr darüber zu sprechen. Da werde ich versuchen, ihm begreiflich machen, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben. Ich bin nicht sicher, wie er das aufnehmen wird.« Leise fügte sie hinzu: »Dass er ein schlechter Mensch sein soll, mag ich nicht glauben.«
Als Lucian sie weiter ausdruckslos ansah, entschied sie sich, auch den Rest zu erzählen. Schließlich hatte sie ohnehin schon fast alles gebeichtet. »Gabriel hat mich gewarnt, dass ich mich unter keinen Umständen ernsthaft mit jemandem einlassen darf, weil sonst ein Unglück geschieht.« Sie lachte bitter auf. » Sex , hat er gesagt, sei kein Problem. Jedenfalls solange ich mich nicht in den Mann verliebe.«
» So, hat er das?« Es war das erste Mal, dass sie bemerkte, wie Lucian etwas von seiner frostigen Ruhe verlor.
Mila versuchte, den drohenden Unterton in der Frage zu ignorieren, und sprach schnell weiter. »Ich wollte doch einfach nur haben, wonach sich die meisten Menschen sehnen: ein bisschen Glück, jemanden, der mich liebt.« Leise fügte sie hinzu: »Wenigstens vorübergehend.«
»Du bist aber kein Mensch.« Lucian klang müde.
»Nein, das bin ich nicht.«
Still sahen sie aufs Meer hinaus, bis Mila plötzlich den breiten silbernen Reif an Lucians linker Schwinge entdeckte.
»Ist der schön, darf ich …« Ohne zu überlegen, streckte sie die Hand danach aus.
Lucian gab ein merkwürdiges Geräusch von sich, das irgendwo zwischen einem Seufzer und dem Grollen eines nahenden Gewitters lag. »Mila …!«, warnte er.
Obgleich sie davon gehört hatte, dass Engelsflügel von höchst sensiblen Nerven durchzogen waren und jede unerlaubte Berührung als Provokation galt , konnte sie nicht widerstehen und strich behutsam erst über den Reif. Dann, als er sich ihr nicht entzog, glitt sie mutig weiter hinab bis zu der glänzend schwarzen Flügelspitze, die unter ihren Fingern verdächtig erzitterte.
Lucian bewegte sich nicht, und es sah aus, als hielte er sogar den Atem an. Seine Iris strahlte in einem hellen Waldgrün, glitzernde Obsidiansplitter zogen darin immer schnellere Kreise, die Mila in eine unergründliche Tiefe zu ziehen drohten. Schließlich faltete er die Schwingen zusammen, beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf ihre leicht geöffneten Lippen.
Diese unerwartete zärtliche Berührung weckte ihre Libido, die neuerdings direkt unter der Oberfläche schlummerte.
»Und würdest du dich mit mir einlassen?«, fragte er leise.
»Ja«, seufzte sie in seinen Mund. »Nein, natürlich nicht«, sagte sie lauter und setzte sich gerade auf.
»Und warum nicht?«
Schweigend sah sie auf ihre Hände.
Als Mila nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch schwieg, legte er zwei Finger unter ihr Kinn und zwang sie so, ihm direkt in die Augen zu sehen. »Warum nicht,
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