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Feuerschwingen

Feuerschwingen

Titel: Feuerschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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ihm, obgleich er seine Strategie von Naivität und geheuchelter Bewunderung durchschaute. »Was fange ich nun mit dir an?«
    Die Frage war berechtigt. Er hatte ihn hart bestrafen wollen, und dies nicht zu tun, würde den Gerüchten neue Nahrung geben. Doch was er in ihm sah, lohnte eine nähere Betrachtung. Außerdem, wer wusste das schon, hätte er seinem Erzfeind Durival damit womöglich in die Hände gespielt. »Ich werde es dir zeigen.« Mühelos öffnete er ein Fenêtre, ein Fenster, das es erlaubte, Dinge zu sehen, die zu anderen Zeiten oder in anderen Dimensionen geschahen. Darin zeigte er dem Dämonenprinzen den Gefangenen Marius, der, seiner Flügel beraubt, angekettet an einer Mauer hing und an dessen Innereien sich ein riesiger Greifvogel labte.
    »O nein! Nicht das!«
    Wenn nichts aufrichtig an Noths Auftritt gewesen sein sollte, das Entsetzen, das aus diesen Worten sprach, war echt.
    »Keine Sorge. Ethon wird dich verschonen, wenn du dich ruhig verhältst. Du wirst Marius eine Weile Gesellschaft leisten. Als Vorgeschmack auf eine Zukunft, die so oder anders aussehen kann. Ganz wie es dir beliebt. Dankbarkeit und Diskretion sind eminent gewinnende Eigenschaften. Haben wir uns verstanden?«
    Erleichterung machte sich auf Noths Gesicht breit. »Das werde ich verkraften.«
    Lucian zog eine Augenbraue hoch.
    Noth verstand. »Ich schwöre es.«
    Vielleicht , dachte Lucian, während Quaid den Dämon abführte. Doch Ethon war nicht nur ein stattlicher Vogel, er würde ihm möglicherweise auch verraten können, ob seine Vermutung stimmte und Noth mehr war, als er zu sein vorgab.
    Als Quaid zurückkehrte, gab er ihm den knappen Befehl, alles über Noths Abstammung herauszufinden. »Ich will seine gesamte verdammte Ahnentafel haben, ist das klar? Und morgen lässt du ihn wieder frei.«
    »Wie bitte?«
    »Du hast richtig gehört. Er kann sich frei bewegen, aber lasst ihn nicht aus den Augen.« Er lächelte kühl. »Die Wachen für Durival werden verstärkt.«
    »Das habe ich bereits veranlasst.« Quaid deutete eine Verbeugung an.
    Der Groll verließ ihn so schnell, wie er gekommen war. »Gibt es sonst noch etwas?«, fragte er trotzdem.
    »Nein, mein Fürst.« Sein General erlaubte nicht, dass auch nur das geringste Lächeln in der Stimme mitklang.
    Dennoch wusste Lucian, dass es da war. Über den Anlass dazu würde er später nachdenken. Jetzt gab es Wichtigeres. Nach einem kurzen Nicken, das seine Zufriedenheit ausdrücken sollte, verließ er die Unterwelt, ohne dass es jemandem möglich gewesen wäre herauszufinden, wohin er ging. Außer Quaid, der natürlich genau wusste, wohin es seinen Chef zog. Doch er war klug genug, dieses Wissen für sich zu behalten.
    Je näher sie dem Meer kam, desto freier fühlte sie sich. Klare Luft reinigte ihre Lungen und bald den gesamten Körper. Sauerstoff strömte durch ihre Adern, machte das Denken leichter, umschmeichelte ihr Engelsfeuer, bis es getröstet seinen Kopf niederlegte, wie ein kleines Pelztier, das sich zur Ruhe bettet, darauf vertrauend, dass die Instinkte es zur rechten Zeit wecken würden.
    Ohne zu zögern, überquerte sie den Weg, der in sicherem Abstand an den Klippen entlangführte, ging bis zur äußersten Kante, das lockere Geröll unter den Füßen, und beugte sich weit vor, bis sie das silberne Band aus gesponnenem Nixenhaar sehen konnte, an dem sich heute die Wellen labten wie Kinderzungen an süßem Zuckerwerk . Diese Brandung war ein Teil der beständigen Verlässlichkeit, die in Milas Leben so häufig fehlte. In ihren Ohren sangen lebhafte Böen, die in frischem Übermut ungeduldig an ihrer Kleidung zerrten.
    Milas Lebenshunger war nicht mehr zu trennen von der berauschenden Intensität des Incendio. Leise flüsterte sie Beschwörungen in einer unbekannten Sprache, die durch die Weiten des Universums betörender Körperlosigkeit zu ihr herüberwehten.
    Mit geschlossenen Augen breitete sie die Arme aus, lehnte sich gegen die Brise, darauf vertrauend, dass die Vorsehung ihren Sturz auffangen und ein Aufwind sie über die Wellen hinweggleiten und hoch in die Lüfte erheben würde.
    Der Wind nahm zu und rauschte wie aufbegehrende Böen, die durch mächtige Baumkronen stürmten. Bevor Mila reagieren konnte, wurde sie rücklings ergriffen und über die Kante des Abgrunds gerissen. Der Flug versetzte ihren Körper in Erstaunen, der Geist verlieh dem Mysterium einen unwirklichen Glanz, den die Seele als faszinierende Welle über die Zeitläufe

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