Feuerschwingen
ihr und legte beruhigend die Hand auf ihren Arm. »Bist du sicher? Er wirkt ganz normal auf mich.«
Noch einmal sah Mila zu dem Mann hinüber. Doch, es gab keinen Zweifel. »Das ist ein Dämon, ich schwöre es dir!« Sie lehnte sich an den Baum, und seltsamerweise gab ihr die glatte Rinde in ihrem Rücken die Kraft, von den Ereignissen zu sprechen, die sie am liebsten ein für alle Mal aus ihrer Erinnerung gestrichen hätte.
»Meine Mutter hat für einen privaten Pflegedienst gearbeitet und war oft bis spätabends unterwegs. Die Gegend, in der wir wohnten, gehörte nicht zu den besten. An dem Abend regnete es wie verrückt, und ich bin ihr entgegengegangen, weil sie ihren Schirm vergessen hatte. Mama war so, sie dachte nie an sich selbst, sondern nur an andere.«
Vergeblich suchte Mila nach einem Taschentuch und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken fort. Nicht weinen, du darfst jetzt nicht weinen! , beschwor sie sich und sprach schließlich leise weiter.
»Der Dämon tauchte wie aus dem Nichts vor uns auf. Er muss gewusst haben, wer wir waren, denn ehe wir noch reagieren konnten, hatte er mich schon gepackt und über die Straße gezerrt. Erst dachte ich, er wollte mich vergewaltigen. Ich habe versucht zu schreien, aber keinen Ton herausgebracht. Es war wie in einem Albtraum.«
»Das Schwein! Und was ist dann passiert?« Tröstend legte Juna ihr den Arm um die Schultern.
»Er hat mich festgehalten und beide Hände auf meinen Bauch gedrückt. Es fühlte sich an, als wollte er mir die Innereien herausreißen, ich war wie gelähmt. Und dann hat er mich geschlagen. Was auch immer er von mir wollte, er konnte es nicht finden. Das hat ihn wahnsinnig wütend gemacht, er hat geflucht und mich geschüttelt, aber da war nichts. Und dann hat er mich einfach weggeworfen. Wie eine Puppe. Ich hatte Glück, ich bin auf einer ungemähten Wiese gelandet. Das hat den Sturz etwas abgemildert. Mama war so tapfer, sie hat noch versucht, ihn mit dem Engelsfeuer zu treffen. Aber er hat nur gelacht und es regelrecht verschlungen. Dann hat er ein Schwert gezogen.«
Die Erinnerung an die schrecklichsten Sekunden ihres Lebens schnürten ihr beinahe die Kehle zu. Heiser flüsterte sie: »Sie war sofort tot.«
Mila stockte, denn plötzlich war ihr etwas eingefallen, an das sie sich zuvor nie erinnert hatte. »Ich bin sicher, er hätte mich auch umgebracht, wäre dieser andere nicht gewesen …«
Erschrocken schlug sie die Hände vor den Mund, als sich die Szene erneut vor ihrem geistigen Auge abspielte.
Ein wunderschöner, aber gnadenloser Rachegott war erschienen, mit einem Flammenschwert bewaffnet, wie man es dem Erzengel Michael zuschrieb. In ihrer Furcht hatte sie versucht, sich zu verstecken, und schließlich war es ihr gelungen, unter einen Strauch zu kriechen. Dort hatte sie ganz still gelegen und mit morbider Faszination den Blick nicht von den Kämpfenden abwenden können.
Was sie sah, war ihr wie ein mit leichter Hand choreografierter Totentanz vorgekommen. Der Dämon wirkte zuerst etwas behäbiger, doch er zeigte eine erstaunliche Beweglichkeit, die glauben ließ, die Schwerkraft hätte für ihn keine Bedeutung. Sein Gesicht hätte sie unter anderen Umständen vielleicht sogar als angenehm beschrieben. Jetzt wirkte es hassverzerrt und regelrecht teuflisch.
Sie hätte versuchen müssen zu fliehen, aber sie konnte nicht wegsehen, obwohl sie instinktiv wusste, dass der Gegner dieses Dämons kein normaler Engel war, sondern einer der Herrscher im Reich ewiger Dunkelheit sein musste. Etwa gleich groß, biegsam wie ein Weidenzweig, mit breiten Schultern, denen die mächtigen Schwingen nicht zu schwer zu sein schienen, kämpfte er mit kühler Miene, beinahe arrogant und von seiner Überlegenheit überzeugt, mit der vollendeten Eleganz eines Tänzers. So sehr sie sich auch bemühte, viel mehr wusste sie nicht von ihm zu sagen, als dass eine unfassbare Magie ihn umgab, die das Geschehen vor den Sterblichen verbarg.
Nach einem besonders wütenden Angriff, der jedoch ins Leere ging, weil der Engel sich elegant beiseitedrehte, verschwand der Dämon plötzlich, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Der andere stieß einen lästerlichen Fluch aus und folgte ihm. Als wäre es nur sein Zauber gewesen, der ihre Sinne zusammenhielt, fiel sie in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie erst mehrere Tage später in einem weiß gestrichenen Krankenzimmer erwachte.
»Ausgerechnet Joey, der Chef einer dieser Gangs, die unsere Gegend unsicher
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