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Feuerschwingen

Feuerschwingen

Titel: Feuerschwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Herausforderung gewesen. Seine Laune hob sich beträchtlich. Er breitete die Schwingen aus, erlaubte dem Wind hineinzugreifen. Es war lange her, dass er zuletzt den Blick über die grandiose Landschaft genossen hatte. Es bereitete ihm Vergnügen, die Küste mit den Augen abzusuchen, bis er ihren Leuchtturm entdeckte, und dabei nistete sich die Lebensfreude unerwartet, aber nicht unerwünscht auch bei ihm ein. Wie an jenem Tag, als er dieses mysteriöse Geschöpf beinahe geküsst hätte. Möglicherweise deshalb begleitete er sie auch beim dritten Sprung. Obwohl es wahrlich Wichtigeres für ihn zu tun gegeben hätte, als einen Nachmittag lang in die ungewohnte Rolle eines Schutzengels zu schlüpfen.
    Ihm war sofort klar, dass etwas nicht stimmte, als er bemerkte, wie die erste Kammer ihres Schirms zerriss. Eine oder zwei, das wäre noch kein Drama gewesen, aber eine nach der anderen hatte nachgegeben, am Ende immer schneller. Er hätte spätestens da eingegriffen, wäre sie nicht so unglaublich konzentriert geblieben. Selbst als sich der Ersatzschirm nicht öffnen ließ, hatte sie die Nerven behalten.
    Im Augenblick ihres Begreifens hörte er ihre Gedanken so deutlich, als spräche sie mit ihm und stürzte nicht geradewegs in den Tod. Kein Jammern, kein Wehklagen und auch keine falschen Versprechen an eine höhere Macht. Nach einem harmlosen Fluch bereute sie nur eines: ihn nicht geküsst zu haben.
    Fast hätte er laut gelacht. Die meisten Menschen verloren ihre Seele im Angesicht des Todes, weil sie in ihrer Panik versprachen, alles zu tun, um noch einen Aufschub zu erhalten. Seine Todesengel standen immer bereit, um den Sterbenden diesen Wunsch zu erfüllen. Eine klare Win-win-Situation. Wer dachte schon daran festzulegen, wie lang die teuer erkaufte Verlängerung der Lebenszeit dauern sollte, wenn er glaubte, dem Tod von der Schippe springen zu können? Und so ging es mit ihnen eben ein paar Sekunden später doch zu Ende.
    Betrug? Lucian sah das nicht so. Ein Geschäft war ein Geschäft. Und für niemanden dürfte es ein Geheimnis sein, dass die Moral nicht für einen Deal Pate stand, in den die Unterwelt involviert war.
    Im Gegensatz zum Kleingedruckten einer Lebensversicherung durfte man seine Verträge ohne Weiteres als ehrlich bezeichnen. Nun gut, über diese Formulierung musste selbst er schmunzeln. Aufrichtigkeit und Gewissen waren keine Vokabeln, die man sofort mit einem Höllenfürsten erster Ordnung in Verbindung brachte. Seit jeher allerdings genoss er den Ruf, zu seinem Wort zu stehen. Ein trefflicher Grund, es niemals leichtfertig zu geben.
    Seine Geschäftspraktiken hatten ihm eine der größten Seelensammlungen des Schattenreichs beschert. Sollte er je davon Gebrauch machen müssen, verliehe ihm dieses geheime Vermögen unvorstellbare Macht. Seelen waren in seiner Welt ein ähnlich wertvolles Zahlungsmittel wie Gold oder Edelsteine, beinahe so kostbar wie Wissen. Die Vorsehung mochte verhüten, dass dieser Fall eines Tages eintrat, denn das bedeutete dann höchstwahrscheinlich, dass er Luzifers Vertrauen verloren hatte. Kein besonders angenehmer Gedanke. Da war es schon besser, man hielt ihn für einen Günstling des Lichtbringers, der bei genauer Betrachtung nicht mehr wollte, als möglichst häufig sein eigenes Vergnügen zu suchen.
    Danach stand ihm auch jetzt der Sinn. Den Wunsch nach einem Kuss würde er Mila erfüllen, ohne Bedingungen zu stellen. Allerdings sollte er sich lieber beeilen. Dieser Körper war viel zu schade, um am Boden zu zerschellen, und so fing er sie schließlich auf, rettete ihr Leben und ließ sie am Ende doch fallen.
    Was ihm ausnahmsweise ehrlich leidtat, obwohl es unvermeidlich war. Niemand überlebte einen solchen Sturz unbeschadet, nicht einmal, wenn er sich im dichten Geäst eines Baums verfing, das den Fall gnädig abfederte. Also durfte sie nicht vollkommen unversehrt aufgefunden werden.
    Er stand nicht weit entfernt. Jederzeit bereit einzugreifen – von den Menschen unbemerkt. Aufmerksam beobachtete er, wie die waghalsige Fliegerin aus den Zweigen gepflückt und verarztet wurde. Er konnte nicht sagen, dass ihm gefiel, wie diese Männer ihr T-Shirt hochschoben, um nach Verletzungen zu sehen, wie sie an Mila herumfingerten und sie schließlich auf eine Trage legten, um sie zum Krankenwagen zu transportieren, der wenige Meter weiter auf dem Waldweg parkte. Als das Martinshorn verklang, öffnete er ein Portal und stand gleich darauf im Haus seiner himmlischen

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