Feuerschwingen
Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen auf.
Sie könnte auch ein Kobold sein , dachte sie und spürte die ausdrucksvollen Augen auf sich ruhen.
Die beiden erwarteten offenkundig eine Antwort, und Mila hatte keine Ahnung, was sie ihnen erzählen sollte. Am besten, sie begann mit dem Offensichtlichen.
»Früher konnte ich Engel sehen, meistens jedenfalls«, begann sie stockend. »Doch die letzte Begegnung liegt lange zurück. Weil ich nicht glauben mochte, dass ihr plötzlich ausgestorben seid, dachte ich, meine Magie nach der Pubertät verloren zu haben.«
Das war nicht einmal gelogen. Indem ihr Lehrer das Geheimnis, von dem nur er zu wissen schien, was es war, tief in ihr eingeschlossen hatte, waren auch die besonderen Fähigkeiten weitgehend verschwunden. Inzwischen hatte sie ihn sogar im Verdacht, dass er absichtlich ihre Erinnerungen an die Jugend und Kindheit manipuliert hatte, aber das bände sie diesen Fremden bestimmt nicht auf die Nase. Ein normales Leben sollte sie führen, hatte Gabriel ihr geraten. Als wenn das so einfach wäre. Er hatte ja keine Ahnung.
Arian beugte sich vor. »Was siehst du?«
»Du willst wissen, was ich hinter eurer menschlichen Fassade sehen kann? Also gut.« Sie atmete tief durch und versuchte sich zu konzentrieren. »In dir«, dabei nickte sie Juna zu, »sehe ich Licht und ein warmes Strahlen. Du bist Heilerin.« Mila überlegte kurz und sagte dann erstaunt: »Doch das warst du auch schon, bevor du ein Engel wurdest … was noch nicht allzu lange her ist. Du dagegen«, sie sah Arian an, »bist zwar auch kein Engel der ersten Stunde, geboren, nicht geschaffen, aber könntest es jederzeit mit einem von ihnen aufnehmen.« Erschrocken prallte sie zurück. »In deinem Kern brodelt etwas Dunkles.«
»Bemerkenswert«, war der einzige Kommentar, den Arian abgab.
Doch dieses eine Wort reichte ihr zur Bestätigung. Sie lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen. Hatte sie wahrhaftig das Innere der beiden Engel so deutlich gesehen? Warum kehrten ihre Fähigkeiten ausgerechnet jetzt zurück?
»Bist du …«, hier zitterte ihre Stimme, »… ein Dämon?«
»Du weißt nicht viel über unsere Welt, nicht wahr?« Und als Mila unglücklich nickte, fuhr er sich aufgebracht durchs Haar. »Das ist unverantwortlich! Wie konnte er so etwas tun?«
Ihr kam ein Verdacht. Konnte es sein, dass diese Engel Gabriel kannten? »Von wem sprichst du?«
»Erklär du es ihr.« Arian wandte sich ab.
Juna seufzte, dann schenkte sie Tee nach. »Wir gehören zu den Vigilie . Das sind himmlische Wächter, deren Aufgabe es unter anderem ist, gemeinsam mit den Dunklen Engeln die Portale zur Schattenwelt zu hüten.«
»Du meinst, jeder auf seiner Seite? Aber wenn beide die Tore bewachen, wer soll dann da noch durchkommen?«
»Dämonen.«
»Aber in der Unterwelt, das sind doch alles Dämonen!«
Von Arian war ein seltsames Geräusch zu hören, und Juna seufzte erneut. »Wer hat dir denn das erzählt?«
Mama. Doch das sagte sie bestimmt nicht laut. Nach dem plötzlichen Verschwinden des Vaters hatte ihre Mutter beinahe alles und jeden als Dämon oder von ihnen besessen bezeichnet. Gefallene Engel, die unter den Menschen lebten, das war eine andere Sache gewesen. Die hatte sie geradezu als Heilige verehrt.
»Sieh mal, es ist so …«, unterbrach Juna ihre Erinnerungen. »Die Dunklen Engel haben eine wichtige Aufgabe übernommen.« Sie lehnte sich vor und sah Mila mitleidig an, als ahnte sie den Tumult in ihrem Inneren. »Sie schützen diese, nennen wir sie der Einfachheit halber Menschenwelt , vor den Dämonen, die nur zu gern hier eindringen und alles verwüsten würden. Das Gleichgewicht zwischen den magischen Dimensionen ist aber äußerst sensibel, und gelänge es ihnen, ihr Ziel zu erreichen, dann wäre es mit unserer Freiheit für alle Zeiten vorbei.«
»Wirklich? Ich hatte keine Ahnung«, sagte Mila schwach und fasste Halt suchend nach der Sessellehne.
»Du bist erschöpft. Sobald es dir besser geht, kann ich dir gern mehr darüber erzählen, wenn du möchtest.«
»Wissen ist unser kostbarstes Gut, es kann eines Tages dein Leben retten«, sagte Arian ernst, aber ebenfalls mit sanfter Stimme. »Jetzt ruh dich aus.«
Juna tätschelte ihre Hand und erhob sich. »Keine Angst, wir bleiben in der Nähe.«
Weniger Sorgen hätte sie sich gemacht, wenn sie endlich allein gewesen wäre. Und wo steckte eigentlich Florence? Sie hätte Anthony vom Herrenhaus aus anrufen und ihm sagen können, dass es
Weitere Kostenlose Bücher