Feuersee
Leben gehörte dem Herrscher, wie das
Leben aller Untertanen
Seiner Majestät. Der Herrscher war eben der Ansicht, der junge
Mann wäre ihm
tot nützlicher als lebendig.«
»Er hätte dem jungen Mann Gelegenheit geben
können, seine Meinung in dieser Sache zu
äußern«, meinte Haplo trocken.
Der Patryn hatte anfangs versucht, sich den Weg
zu merken, doch in dem Labyrinth gleich aussehender Gänge war
ein solcher
Versuch zum Scheitern verurteilt. Der glatte Felsboden war leicht
abschüssig;
allmählich gelangten sie in den unterirdischen Teil des
Palastes. Bald hatten
sie die Gaslampen hinter sich gelassen. Primitive Fackeln brannten in
Halterungen an den feuchten Wänden. In dem flackernden
Lichtschein sah Haplo
verblaßte Runenfriese dicht über dem Boden an den
Wänden entlanglaufen. Weiter
vorn hörte er den Widerhall von Schritten, langsam und
schlurfend, als würde
eine schwere Last getragen. Der Leichnam des Prinzen auf dem Weg zu
seiner
nicht unbedingt letzten Ruhestätte.
Der Kanzler hatte die Stirn gerunzelt. »Es
fällt
mir schwer, Euch zu verstehen, Sir. Eure Worte erreichen mich wie aus
einer
dunklen, von Blitzen durchzuckten Wolke. Ich erkenne in Euch
Gewalttätigkeit,
eine Gewalttätigkeit, die mich erschreckt. Ich sehe brennenden
Ehrgeiz, das
Verlangen nach Macht um jeden Preis. Der gewaltsame Tod ist Euch
vertraut. Und
doch merke ich, daß Ihr zutiefst verstört seid wegen
etwas, das im Grunde
genommen lediglich die Hinrichtung eines Rebellen und
Verräters war.«
»Wir töten nicht die Unseren«,
sagte Haplo
leise.
»Wie bitte?« Pons neigte sich zu ihm.
»Was habt
Ihr gesagt?«
»Ich sagte: Wir töten nicht die
Unseren«,
wiederholte Haplo kurzangebunden und in schroffem Ton. Dann schwieg er
beunruhigt und zornig darüber, beunruhigt zu sein. Es gefiel
ihm überhaupt
nicht, wie jeder hier fähig zu sein schien, dem anderen bis
auf den Grund der
Seele zu schauen.
Er freute sich auf das Gefängnis. Freute sich
auf die lindernde, heilsame Dunkelheit, die Stille. Er brauchte die
Dunkelheit,
brauchte die Stille. Er brauchte Zeit, um diese ketzerischen,
verwirrenden
Gedanken einzukreisen und auszumerzen. Dabei fiel ihm etwas ein. Es gab
da eine
Frage, auf die er gern die Antwort gewußt hätte.
»Was hat es mit dieser Prophezeiung auf sich,
von der ich gehört habe?«
»Prophezeiung?« Pons’ Blick
streifte Haplo.
»Wann soll das gewesen sein?«
»Nachdem Euer Hauptmann versucht hatte, mich zu
töten.«
»Oh, da müßt Ihr noch ganz
benommen gewesen
sein. Ihr wart böse gestürzt.«
»Aber mein Gehör war davon nicht in
Mitleidenschaft gezogen. Die Herzogin sagte etwas von einer
Prophezeiung. Ich
frage mich, was sie wohl gemeint hat.«
»Prophezeiung.« Der Kanzler tippte sich
nachdenklich mit dem Zeigefinger gegen das Kinn. »Mal sehen,
ob ich mich
entsinnen kann. Ich muß gestehen, wenn ich jetzt
darüber nachdenke, daß ich
ziemlich verdutzt war über ihre Bemerkung. Genau wie Ihr
fragte ich mich, was
sie wohl gemeint hat. In den vergangenen Jahrhunderten hat es so viele
Prophezeiungen gegeben, müßt Ihr wissen. Unsere
Kinder benutzen sie als
Abzählverse.« Pons lächelte
gönnerhaft.
Haplo erinnerte sich gut an den Ausdruck auf dem
Gesicht des Kanzlers, als Jera die Prophezeiung erwähnte.
Damals hatte Pons
nicht gelächelt.
Bevor der Patryn das Thema weiterverfolgen
konnte, begann der Kanzler scheinbar in aller Unschuld die Runenzeichen
auf den
Spielsteinen zu diskutieren. Er hoffte wohl darauf, Haplo aushorchen zu
können.
Jetzt war es an dem Patryn, Pons’ Fragen auszuweichen, der
nach einiger Zeit
einsah, daß er nichts erreichen würde, und schwieg.
Nebeneinander gingen sie
stumm durch die engen Korridore.
Die Luft in den Katakomben war stickig. Der
Geruch nach Verwesung hing so schwer in der Luft, daß Haplo
glaubte, ihn wie
einen öligen Film auf der Zunge schmecken zu können.
Die einzigen Geräusche
waren die Schritte der Toten vor ihnen.
»Was hat das zu bedeuten?«
ertönte plötzlich
eine fremde Stimme.
Der Kanzler stieß einen erschreckten Laut aus
und griff unwillkürlich nach Haplos Arm – der
Lebende suchte Zuflucht bei dem
Lebenden. Haplo selbst fühlte beschämt, wie sein Herz
einen Schlag aussetzte,
und verzichtete darauf, Pons anzuherrschen, weil er ihn
berührt hatte.
Eine geisterhafte Gestalt trat aus dem Schatten
in den Fackelschein.
»Feuer und Asche, Ihr
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