Feuersee
sich von den Leichnamen. Ohne
Substanz, jedoch von erkennbarer Gestalt, verharrten die Schemen dicht
bei den
Körpern, denen sie entstammten. Auf einen befehlenden Wink des
Nekromanten
wichen sie zurück, doch blieben sie in der Nähe ihres
Toten, wie Schatten in einer
Welt ohne Sonne.
Diese Schatten besaßen die Gestalt des
Leichnams, mit dem sie verbunden gewesen waren. Einige standen
groß und kräftig
neben den Körpern großer, kräftiger
Männer, andere standen greisenhaft gebückt
bei denen, die im hohen Alter gestorben waren. Ein kleiner Schemen
schwebte
über der Leiche eines Kindes. Sie alle schienen sich nicht von
ihren Toten
trennen zu mögen, aber der Nekromant scheuchte sie mit einem
strengen Befehl
zurück.
»Ihr Schemen habt nichts mehr mit diesen Leibern
zu schaffen. Fort mit euch! Sie sind nicht mehr tot! Das Leben kehrt
zurück!
Fort mit euch, oder ich sende euch und den Körper ins ewige
Vergessen!«
Die Art, wie er sprach, ließ kaum einen Zweifel
daran, daß der Magier die Geistwesen am liebsten
endgültig verbannt hätte, aber
vielleicht war das unmöglich. Demütig und
bekümmert taten die Schemen, wie
ihnen geheißen, und entfernten sich von ihren Toten, doch
nicht allzuweit;
gleich schwebten sie zaghaft wieder heran, so nahe sie glaubten, es
wagen zu
können, ohne den Zorn des Magiers zu erregen. »Was
hat mein Volk getan? Was hat
mein Volk getan?« jammerte Alfred.
Plötzlich sprang der Hund auf und stieß ein
scharfes, warnendes Bellen aus. Alfred vergaß seine Magie und
fiel zu Boden.
Haplo riß sich die Bandagen von den Händen und
bereitete sich darauf vor zu
kämpfen – oder zu fliehen. Die Sigel auf seiner Haut
leuchteten blau und rot,
die Magie pulsierte in seinem Körper, doch als er der
Bedrohung von Angesicht
zu Angesicht gegenüberstand, fühlte er sich machtlos.
Wie bekämpft man etwas, das bereits tot war?
Haplo stand wie gelähmt, betäubt;
unfähig, an
der Magie vorbeizudenken. Das kurze Zögern war sein Verderben.
Finger schlossen
sich mit einem kalten Griff um seinen Arm, der ihm das Blut in den
Adern
erstarren ließ. Er hatte das Gefühl, daß
die Sigel auf seiner Haut unter der
grausigen Berührung verdorrten. Gegen seinen Willen
stieß er einen
Schmerzensschrei aus und sank auf die Knie. Der Hund klemmte den
Schwanz
zwischen die Beine, duckte sich flach auf den Boden und heulte.
»Alfred!« knirschte Haplo mit
zusammengebissenen
Zähnen. »Tu irgendwas!«
Doch Alfred warf nur einen Blick auf ihre
Überwältiger und verlor die Besinnung.
Tote Soldaten führten Haplo und trugen den
ohnmächtigen Alfred in den unterirdischen Saal. Der Hund
trabte hinterher,
obwohl er sich ängstlich hütete, den
Wiedergängern zu nahe zu kommen, die nicht
zu wissen schienen, was sie mit dem Tier anfangen sollten. Alfred
legten sie
vor dem Nekromanten auf den Boden. Haplo, finster und trotzig, brachten
sie vor
ihren Prinzen.
Nach der von dem Herrscher des Nexus
eingeführten Zeiteinteilung in ›Tore‹
(auf der Basis der Tore, die ein Patryn
bei dem Versuch, aus dem Labyrinth zu fliehen, durchqueren
mußte), wäre Edmund
etwa achtundzwanzig und damit in Haplos Alter gewesen. Es kam Haplo
vor, als er
in die ernsten, klugen, verhangenen Augen des Prinzen schaute,
daß er einem
Mann gegenüberstand, der in diesen achtundzwanzig Jahren viel
gelitten hatte,
vielleicht ebensoviel wie Haplo selbst.
»Sie haben spioniert«, sagte einer der
toten
Soldaten. Die Stimme des Wiedergängers war beinahe ebenso
grauenerregend wie
sein totes Fleisch. Haplo bemühte sich um eine gelassene
Haltung, obwohl der
Schmerz der leblosen Finger, die sich in sein Fleisch gruben, kaum
erträglich
war.
»Ist dieser Mann bewaffnet?« fragte
Edmund.
Die Wiedergänger – es waren drei
– schüttelten
verneinend die grausigen Köpfe.
»Und jener dort?« Der Prinz musterte
Alfred mit
einem halben Lächeln. »Nicht, daß es etwas
ausmachen würde.«
Die Wiedergänger gaben zu verstehen, daß
man
auch bei dem zweiten Gefangenen keine Waffen gefunden hatte. Die
lebenden Toten
hatten Augen, doch Augen wie aus Glas, die keiner Bewegung folgten,
niemals
aufleuchteten, sich nie mit Tränen füllten und
niemals schlossen. In den Augen
ihrer Schemen, die sehnsüchtig im Hintergrund ausharrten,
stand noch das Wissen
und die Weisheit der Lebenden, aber sie hatten offenbar keine Stimme.
Sie
konnten nicht
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