Feuersteins Ersatzbuch
brach die Halterung, und wir rammten ein zweites Boot.
Während Richard verbissen hämmerte und schraubte, versuchte der Steuermann, das führerlos treibende Boot mit der Leine an einer Boje festzumachen. In äußerster Konzentration stand er vorn auf dem Bug, das Tau wie ein Lasso schwingend, doch als wir einen Holzpfosten rammten, verlor er das Gleichgewicht und wäre fast ins Wasser gefallen, hätte er sich nicht an seiner Bierdose festgehalten. Zur Notbremsung wollte er jetzt den Anker werfen, doch war dieser ohne Kette, und ein Anker, den man über Bord wirft, macht bekanntlich nur Sinn, wenn eine Kette dran ist. Außer man will ihn loswerden.
Und so verging die Zeit. Richard nutzte sie, um fast sämtliche Boote im Segelhafen von Honolulu zu rammen. Schiffeversenken der schönsten Art, wie ich es bisher nur auf Millimeterpapier ausleben durfte. Wir konnten von Glück reden, dass die Eigentümer nicht an Bord waren, sonst hätte man uns längst unter Beschuss genommen. Hawaii gehört schließlich zu Amerika.
Dann begann der Motor zu stottern und starb ab. Hatte Crew falsch getankt, indem er Bier reinschüttete und den Diesel selber trank? Jedenfalls hatte der Käpt’n dadurch endlich die nötige Ruhe, das Steuerrad festzunageln, während Crew vergeblich versuchte, mit dem Enterhaken Halt an einem anderen Schiff zu finden. Zu unserem Erstaunen versenkte er dabei kein einziges, sondern zerkratzte nur viele Lackierungen.
Leider ließ sich der Motor nicht mehr starten, was Richard sichtlich irritierte, da es doch gerade der Starter war, den er vor unserer Ankunft repariert hatte. Als er die Luke zum Motorraum öffnete, fand er darin zu seiner Überraschung ein weiteres Besatzungsmitglied, das dort seinen Rausch ausschlief, offenbar schon seit Tagen. Diskret verschloss er die Luke wieder. Dann seufzte er, drückte jedem von uns ein Bier in die Hand und verkündete, wir würden nach Hause rudern. Oder es zumindest versuchen.
Wolpers war hoch zufrieden. Zwar waren wir aus dem Jachthafen gar nicht erst rausgekommen, und die immer noch eingerollten Segel hatten wir nicht mal angefasst. Aber die Szene war authentisch, komisch und krank, dazu auch noch billig und mit Freibier — insgesamt also für Wolpers die Definition des irdischen Glücks. Und für mich war es das Paradies schlechthin: Segeln, der Extremsport für uns harte Burschen, der Überlebenskampf in einer Nussschale gegen Windsbraut und Klabautermann... aber ohne Wellengang. In der Badewanne, gewissermaßen. Selbst wenn wir gekentert wären, hätte ich mich schon nach fünf Metern — meinem Rekord im Langstreckenschwimmen — irgendwo festklammern können. Ich hätte nie geahnt, dass Segeln so schön sein kann.
Als wir nach einem halben Segeltag und einer Strecke von 50 Metern wieder am Pier angelangt waren, kamen sämtliche Gäste aus der Bar gerannt und staunten uns an. Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass Menschen von einem Ausflug auf der »Lilli Dansker« lebend zurückgekehrt waren.
Entsprechend gelassen begab ich mich am nächsten Tag auf meine erste Tauchfahrt in einem Unterseeboot. Zu gern würde ich jetzt berichten, dass es sich um ein Atom-U-Boot handelte und wir unter dem Nordpol durchgetaucht sind... aber es war nur ein Touristenkäfig, der gerade mal die fünfzig Meter zum Boden des Hafenbeckens schafft: die »Voyager«, eine süße, kleine yellow submarine für zwei Mann Besatzung und drei Dutzend Fahrgäste, die an der Wand entlang vor großen Bullaugen hocken und auf Fische hoffen.
Ich hoffte ebenfalls, sah aber hauptsächlich den kahlen Meeresboden von Honolulu mit Betonbrocken, Autoreifen und Ankern ohne Ketten, die vermutlich Richard bei früheren Bremsmanövern der »Lilli Dansker« über Bord geworfen hatte. Außerdem sah ich einen Taucher, der rund um das Boot schwamm, um im Auftrag von Wolpers mit der Unterwasserkamera von uns Außenaufnahmen zu machen. Das tat er auch ganz prima und verscheuchte damit die wenigen Fische, die sich uns nähern wollten.
Das Fazit: Schon ziemlich interessant, aber mehr der Tauchvorgang an sich, dieses dramatische Abgleiten in die angeblich lockende Tiefe. Was man zu sehen kriegt, ist freilich eher dürftig. Die »U-Boot-Fahrt« in Disney-World, wo man zwar nur zwei Meter taucht, aber dafür submarine Paradiese in einer Geballtheit erlebt, wie sie im echten Meer wohl nirgends zu finden sind, war eindeutig spektakulärer. Die Scheinwelt ist eben doch schöner als die Wirklichkeit, das wissen
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