Feuersteins Ersatzbuch
wir ja auch aus Goethes »Faust«.
Für unsere dritte Seereise auf dem Kriegsschiff hatte ich eigens ein weißes Dinner-Jackett im Gepäck, samt Dresshemd und Krawatte — an sich eine ungewöhnliche Garderobe für Hawaii. Aber ich kann doch nicht kurzärmlig zwischen Uniformierten über Deck traben, das macht der Bundespräsident auf Staatsbesuch schließlich auch nicht! Außerdem hat man sich auf einer Seereise ordentlich anzuziehen, das wissen wir alle vom »Traumschiff«. Zugegeben, meinen Besuch auf dem Zerstörer eine »Seereise« zu nennen, ist ein wenig übertrieben, denn das Schiff lag im Marinehafen von Pearl Harbour und war fest am Pier vertäut. Aber es schwamm im Wasser und schaukelte dabei, und das ist für mich eine Seereise, egal wie die andern das nennen.
Pearl Harbour, die riesige Hafenanlage direkt am Stadtrand von Honolulu, ist der Hauptstützpunkt der amerikanischen Flotte im Pazifik. Der Name weckt historische Erinnerungen: Hier fand am 7. Dezember 1941 der japanische Überfall statt, der die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg veranlasste. Ohne Kriegserklärung waren 350 japanische Flugzeuge über Pearl Harbour aufgetaucht, die alles, was sich unter ihnen befand, in Schutt und Asche legten, Kasernen, Häuser, über 300 Flugzeuge und die gesamte Flotte von 100 Kriegsschiffen; allein der Untergang der »Arizona« forderte über tausend Tote.
Die Amerikaner hatten daraus sofort ihre Lehre gezogen und noch während des Krieges einen Schutzwall gegen Japan errichtet: Pearl Harbour wurde zur unverwundbaren Festung ausgebaut. Doch irgendwie scheint das nicht richtig geklappt zu haben, denn heute wimmelt es hier nur so von Japanern, und auch im Militärhafen bilden sie das größte Kontingent der Besucher. Sogar auf den Kriegsschiffen weht die ehemals feindliche Flagge: Auf dem Weg zu unserem Zerstörer liefen wir an mehreren japanischen U-Booten vorbei, die gerade zum Freundschaftsbesuch eingetroffen waren.
Es war nicht ganz einfach, eine Drehgenehmigung zu bekommen, aber als wir sie dann hatten, klappte alles wie am Schnürchen. Geöffnete Schlagbäume, ein jovialer Presseoffizier und ein richtiges Kriegsschiff: die USS »John McCain«, ein Raketenzerstörer der Arleigh-Burke-Klasse, was immer das ist, 160 Meter lang, 30 Knoten schnell und 8400 Tonnen groß (jawohl, GROSS, ihr Laien, nicht schwer, denn die Schiffstonnage ist keine Angabe des Gewichts, sondern seiner Wasserverdrängung), 1994 in Dienst gestellt, mit der ersten Bewährungsprobe im Golfkrieg. 315 Matrosen und 22 Offiziere bedienen das Hightech-Wunder, und sie sind sichtlich stolz darauf, denn es ist eine Komfort-Kampfmaschine, auf der sich’s gut leben lässt, wenn nicht gerade geschossen wird, mit Frisiersalon, Supermarkt und Fünf-Sterne-Kantine, blitzsauber, die Ausstattung vom Feinsten, locker der Umgangston und lauter nette Kerle. Auch wenn ich mich schwer dagegen wehrte, spürte ich doch, wie sich die Kriegergene meiner Urahnen aus der Trockenstarre lösten und im Marschschritt zu zucken begannen, als die Matrosen zackig salutierten, Signalfahnen mit meinen Initialen den Mast hochgezogen wurden und ich mich dann auf der Brücke gemeinsam mit Kommandant Vitale über den Kartentisch beugte.
Und dann erst die Waffen! Das Aegis-Luftabwehr-System mit Lasersteuerung, das einen Golfball in 100 Meilen Entfernung aufspüren und vernichten kann; die »Feuern-und-Vergessen«-Raketen für den Seekrieg, die ihr Ziel ohne weitere Steuerung ganz von selber finden; Torpedos für den Feind unter Wasser, die sowohl fliegen als auch schwimmen können; und die grimmigen Tomahawk-Landraketen, die beim Anflug an das Ziel Fernsehbilder direkt an CNN liefern können, bevor sie explodieren und an die Werbung abgeben. Aber das mussten wir uns alles erzählen lassen, besichtigen durften wir diese Todeskammern natürlich nicht, und das war sicher gut so, denn bestimmt hätte ich in ehrbarer journalistischer Neugier auf den falschen Knopf gedrückt, oder Wolpers wäre über ein Kabel gefallen, und schon hätten wir nicht mehr nur Segeljachten oder Holzpfeiler gerammt, sondern San Francisco versenkt, meine Lieblingsstadt.
Sie merken es sicher: Ich war tief beeindruckt und fast schon dabei, meinen Anti-Militarismus, der mich bisher mein ganzes Leben lang begleitet hatte, buchstäblich über Bord zu werfen... als dann doch die Stunde der Beklemmung kam.
Das geschah, als wir den war room betraten. »Kriegsraum« wäre eine ärmliche Übersetzung,
Weitere Kostenlose Bücher