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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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das klingt nach Bunker, Feldtelefonen und Kommandolärm. Auf dem Zerstörer aber ist es ein richtiger Saal mit gedämpftem Licht und dem beruhigenden Design einer edlen Werbeagentur. Ein paar Reihen von Computertischen, eine große Projektions fläche an der Wand, auf die man jede Ecke der Welt, die man zerstören möchte, im kleinsten Kartendetail hinzaubern kann, und etwas erhöht an der Seite, um einen guten Überblick zu gewähren, eine Konsole mit Telefonen, Mikrofonen und unzähligen Knöpfen unter einer Batterie von Bildschirmen und Instrumentenanzeigen. Davor drei komfortable, schwenkbare Ledersessel mit Kopflehne und Armstützen, auf denen die Kriegsherren sitzen. Die Leute am Drücker.
    Das ist die Kommandozentrale. Der Leitstand, von wo im Ernstfall der Tod ausgesandt wird. Nicht brausend und tosend wie die Riesenwellen der Tsunamis, sondern abstrakt und unwirklich wie im Computerspiel. »Chirurgischer Eingriff« heißt das Ziel der modernen Konfliktlösung, die totale Auslöschung per Fernbedienung ohne eigenes Risiko. Wobei ich diese Bezeichnung für nicht ganz glücklich halte, denn so ein Eingriff verläuft ja doch etwas anders als der des Chirurgen im OP: Die Kriegschirurgen sehen kein Blut.
    Der war room als virtueller Kriegsschauplatz. So geschmackvoll, so ordentlich, so klug, dass niemand auf die beunruhigende Idee kommen könnte, die Zielpünktchen auf dem Bildschirm wären lebende Menschen. Oder waren es eben noch. Für den Fall, dass DOCH jemand auf diese Idee kommt, gibt es für jeden Kommandosessel ein Paar Kopfhörer der feinsten Art. Nicht zur Dämpfung des Schlachtenlärms, der tobt ein paar hundert Kilometer weit weg. Sondern zur Dämpfung des Gemüts. Denn diese Kopfhörer sind an ein exquisites Hi-Fi-System angeschlossen, für die passende Musik zur Rakete. Mehrere CDs lagen auf dem Pult, Beethoven, Vivaldi und ein Doppelpack italienischer Arien. Auch Mahlers Achte war darunter, die »Sinfonie der Tausend«, ein bisschen übertrieben für ein Schiff mit nur 337 Mann, aber vielleicht die Leihgabe vom Admiral auf dem Flugzeugträger.
    Was Kommandant Vitale wohl auflegt, wenn er auf die Knöpfe drückt?
    Falls ich mal wiederkomme, bringe ich ihm das »Requiem« von Mozart mit. Das passt so viel besser für einen Treffer. Oder Mahlers »Kindertotenlieder«.

Flüssiger Sonnenschein

    Wenn am Morgen eines Drehtags der erste Blick aus dem Fenster Regen zeigt, weiß in einem anständigen Filmteam jeder genau, was er zu tun hat: Der Macher vor der Kamera ärgert sich, weil er völlig umsonst Texte gelernt hat, der Aufnahmeleiter startet eine Telefonorgie, um neue Termine auszuhandeln, der Produzent rechnet schwitzend nach, ob ein weiterer verlorener Tag im Budget überhaupt zu verkraften ist, und das Team steigt zufrieden zurück ins Bett.
    Anders in Honolulu. Hier regnet es zwar häufig, aber immer nur kurz und sanft, wie aus Sprühdüsen im Wintergarten, und nur selten länger als ein paar Minuten. »Flüssigen Sonnenschein« nennt man diesen zärtlichen Regen rund um die Hauptstadt, und den gibt es nur hier. Anderswo könnten die Gegensätze nicht größer sein. Allein die kleine Insel Oahu, an deren Südküste Honolulu liegt, hat mehrere Klimazonen, und insgesamt finden wir auf dem etwa 800 Kilometer umfassenden Bogen, auf dem die sieben Hauptinseln Hawaiis liegen, jede denkbare Variante der Feuchtigkeit, von extremer Trockenheit und lebensfeindlichen Mondlandschaften bis zum dichtesten Regenwald. So dicht, dass die Windseite des Mount Waialeaie, eines erloschenen Vulkans auf der Insel Kauai, als regenreichster Fleck der Erde gilt: Zwölf Meter jedes Jahr, ein Meter jeden Monat, und das heißt: Es regnet dort eigentlich immer, hinauf bis in den dritten Stock.
    Als wir dort drehten, regnete es natürlich nicht — wahrscheinlich hatten wir die einzige trockene Stunde des Jahres erwischt. Zum Glück war es auch die einzige Stunde, in der Wolpers beweisen konnte, dass er doch nicht ganz überflüssig ist: Vorsorglich hatte er im Hotel eine Gießkanne besorgt, kletterte damit auf einen Baum und begoss mich wie eine kostbare Blüte, damit es wie Regen aussah, als ich meinen wissenschaftlichen Kommentar über den Rekord-Niederschlag dieser Ecke in die Kamera sprach.
    Regen ist hier also ein wichtiges Wort, und da ist es durchaus verständlich, dass es in der alten hawaiischen Sprache mehr als hundert Ausdrücke für die verschiedenen Arten des Regens gab; dazu noch doppelt so viele für Wind —

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