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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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Ohrenkrankheit der Wellenreiter.
    Ich hatte schon vor Jahren im Magazin der Süddeutschem darüber gelesen: Bei Langzeit-Surfern findet im Gehörgang eine merkwürdige Veränderung statt, eine Verknöcherung, die das Ohr zu schließen droht und komplizierte Bohrungen erforderlich macht, um das Trommelfell wieder freizulegen. Einer kühnen Theorie zufolge ist das die Antwort der Natur auf den Dauerkontakt mit Wasser, eine Art Evolution, allerdings in die falsche Richtung: In der embryonalen Entwicklung des Menschen bildet sich für kurze Zeit eine Kiemenspalte aus, in Erinnerung an einen unserer vielen tierischen Vorfahren, den Lurch; doch schließt sie sich bald wieder und wird durch den Gehörapparat ersetzt. Bei Surfern verläuft das offenbar umgekehrt: Der Körper will, vom Wasser verlockt, das Ohr wieder loswerden, und hat Sehnsucht nach Kiemen.
    Am Strand von Waikiki traf ich eine Surfer-Legende, weit über siebzig, klein, zäh und lederhäutig, mit Algen im schneeweißen Haar. Alle Welt kennt ihn unter dem Spitznamen Rabbit, was man wahlweise als »Hase« (weil er so flink ist) oder als »Rammler« (weil er so spitz ist) übersetzen kann. Er ist immer noch hoch aktiv und tagtäglich im Einsatz als Surfer, angeblich auch als Rammler.
    Ich bat Rabbit um Erlaubnis, in sein Ohr schauen zu dürfen... und tatsächlich: Es war das Minimodell einer Tropfsteingrotte samt Stalagmiten und Stalaktiten, gelb gekachelt mit kristallinem Ohrenschmalz. (Wir wissen natürlich: Stalagtiten sind die Zapfen, die von oben runterhängen, Stalakmiten die Erhebungen, die von unten nach oben wachsen, und falls Sie es nicht wussten, es gibt einen primitiven, sexistischen, aber im Grunde logischen Geologen-Merksatz: »Es hängen die Titten — er steht in der Mitten.«) Sie sehen also, wie klug es ist, das Wasser zu meiden. Will ich ein Lurch werden? Ich habe genug Probleme als Rammler.
    Aus makabrer Neugier habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen, einen halben Tag lang zuzusehen, wie diese Irren den Wellen entgegenrennen, sich von ihnen hochschleudern lassen, an den haushohen Wasserwänden entlanggleiten, bis diese über ihnen tonnenschwer zusammenschlagen, und wie sie darunter verschwinden, um dann ganz woanders wieder aufzutauchen... wenn überhaupt. Aber das habe ich aus sicherer Distanz gemacht, durch ein starkes Fernglas, von der Dachterrasse eines Hotels. Denn es gibt noch weit Schlimmeres als die sechs Feuerstein großen Monsterwellen: die Tsunamis, dreimal so hoch und tausendmal so mächtig, die todbringenden Riesenfluten als Folge von Seebeben am Meeresgrund. Zweimal im letzten Jahrhundert, 1946 und i960, wurde die Stadt Hilo auf der großen Vulkaninsel im Süden überrollt, völlig überraschend und ohne jede Vorwarnung. Grau und ruhig soll das Meer vorher ausgesehen haben, nur merkwürdig höher als sonst — und dann plötzlich ein seltsames Brausen, das in Sekundenschnelle zum ohrenbetäubenden Tosen anwuchs — die Überlebenden beschreiben es als »unwirklich« und »außerirdisch« —, und schon war die halbe Stadt verschwunden. Heute gibt es zwar angeblich ein verlässliches Vorhersage- und Alarmsystem, aber ich frage mich, wie das funktionieren soll, wenn die Leute gewohnt sind, bei jedem Sirenengeheul in die falsche Richtung zu rennen?
    Es war also klar: Am Wasser kommt man hier wirklich nicht vorbei, und wenn man es versucht, läuft einem das Wasser nach. Wolpers war daher stumm vor Erstaunen, als ich widerspruchslos einwilligte, dass als Nächstes eine Schiffsfahrt stattfinden sollte. Er hatte das Übliche erwartet: stundenlangen Streit, wüste Beschimpfungen und Androhung der sofortigen Abreise, aber ich seufzte nur, steckte mein Fernglas ein, stieg die Dachterrasse des Hotels hinunter und ergab mich in mein Schicksal.

Schiffeversenken

    Natürlich hatte Wolpers gelogen. Es war nicht EINE Schiffsreise, es waren DREI. Und alle auf Schwimmkörpern, die ich bisher noch nie betreten hatte: ein Kriegsschiff, ein Unterseeboot und — schrecklichster aller Albträume — eine Segeljacht.
    Dass sich die Menschheit seit der Erfindung des Dieselmotors immer noch mit dem Wind abquält, ist mir ohnehin Rätsel genug; dass sich aber erwachsene Leute tagelang vom Salzwasser die Haut von den Knochen ätzen lassen und an Tauen zerren, bis die Hände bluten, und sich dabei zusätzlich auch noch anbrüllen, beweist mir, dass die alten Pharaonen gar nicht so Unrecht hatten: Wenn Menschen so viel Spaß daran haben, sich

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