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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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Fast alle mit Partner, alle hoch gebildet, seriös, höflich und zurückhaltend, dazu so wunderbar unaufdringlich, dass bei meinen Anfällen von Schweigelust, die mich gerade im engen Menschenkontakt so oft überfällt, ein paar sinnlose Laute als Gesprächsstoff reichten.
    Die drei letzten Tage des Jahres verliefen ruhig und unauffällig. Draußen lockte eine nasskalte Schneelandschaft zu melancholischen Spaziergängen, drinnen hätte der offene Kamin gelockt, mit dem jedes Zimmer ausgestattet war, doch war er leider nur Dekoration, vermauerte Vergangenheit — das kommt davon, wenn alte Schlösser mit amerikanischem Geld renoviert werden. Dafür stand neben dem Bett ein Bücherregal, zum Glück ausschließlich mit Werken über Heraldik, Rosenzucht und die Kolonialzeit in Burma bestückt. Keine Bücher also, in deren Lektüre man sich so verbeißt, dass man sie klauen oder seine Urlaubstage verlängern muss, wenn man mit dem Lesen nicht rechtzeitig fertig wurde, aber unübertroffen als Mittel zum Einschlafen.
    Da wir die Spielregeln kannten und für fünf Tage Abendklamotten mitgenommen hatten, wurden wir auch beim Dinner nicht weiter auffällig, sondern blieben in der Ecke des Speisesaals weitgehend unsichtbar. Das brachte uns — erfuhr ich später — einige Sympathien ein, denn es hatte sich natürlich herumgesprochen, dass wir nicht nur die einzigen Ausländer waren, sondern noch dazu Deutsche. Und was soll man als gebildeter Brite mit Deutschen reden? Immer nur Vorwürfe machen? Da bleibt man doch lieber höflich und ignoriert sie.
    Ich weiß nicht, was die Leute an der englischen Küche auszusetzen haben: Ich finde sie vorzüglich, und die Meinung meiner Frau zählt nicht bei diesem Thema, denn die nörgelt an jedem Essen herum. Und so aß ich des Abends mit Begeisterung nicht nur schottisches Lamm, schottisches Rind und schottischen Lachs, sondern freute mich schon auf den Black Pudding am nächsten Morgen, diesen herzhaften Klumpen aus geronnenem Blut — nicht nur aus Gaumenlust, sondern vor allem aus Freude am Experiment, weil man anderswo dieses Zeug nie auf dem Frühstückstisch sieht, sondern höchstens auf dem Fußboden beim Tierarzt oder Pathologen.
    Dann kam der Silvesterabend: großes Abendkleid für die Damen, wahlweise Smoking oder Gala-Kilt für die Herren. Auf dem Tisch lag diesmal nicht nur das ausgedruckte Festmenü, sondern auch eine goldene Pappkrone und eine Tüte Konfetti. Ich schaute mich um: Tatsächlich setzten sich alle die Kronen auf. Wir folgten dem Beispiel, und in einer Anwandlung von Geselligkeit hätte ich beinahe schon jetzt die Konfettitüte aufgerissen. Meine Frau, die mich auch sonst so oft vor taktlosen Dummheiten bewahrt, hielt mich zurück: Konfetti gibt’s immer erst NACH dem Dessert, lernte ich, sonst landen die bunten Punkte womöglich in der Suppe.
    Im leer geräumten Ballsaal wartete das Musikantenduo: ein älterer Her mit dem Akkordeon und eine ältere Dame, die Schulmeisterin aus dem Nachbardorf, mit der Geige. Zum Einzug spielten sie Merry Lads of Aye und den Highland Fling und danach die Aufforderung zum Tanz: Let’s Have a Ceilidh.
    Da geschah die Verwandlung. Die Festgäste im Smoking, Gala-Kilt und Abendkleid, mit goldenen Kronen auf den Köpfen, bildeten sofort einen Kreis und warfen die Schuhe hinter sich. Einer der Edel-Pensionäre entpuppte sich als ehemaliger Ballettmeister, teilte Achtergruppen ein und erklärte die Regeln. Und dann ging es rund, für jedermann, ohne Ausnahme und ohne Ländergrenzen — und damit natürlich auch für uns: herzhaft und wild, mit Anfassen und ständigem Partnertausch, kreuz und quer durch den Saal gewirbelt, schottischer Volkstanz vom Feinsten. Im Grunde ist er einfach zu lernen, enthält aber doch ein paar Kniffligkeiten, denn zwischendurch gibt es für uns Männer acht Takte lang Gelegenheit für eine Solonummer — und damit die Chance, seinen Vortänzer zu übertrumpfen. So mancher Privatdozent wurde da zu Nurejew.
    Tanzen ist nicht gerade meine Leidenschaft, doch auf Socken, eine Krone auf dem Haupt — da konnte und wollte ich mich nicht entziehen. Und so lernte meine Frau, die ich sonst immer nur verlegen herumschiebe, wenn wir uns aus Höflichkeit auf einem Fest einen Walzer abquälen, mit staunenden Augen eine neue Facette meiner gestalterischen Vielfalt kennen, vor allem in den Solonummern: einen hopsenden, springenden Kobold. Rumpelstilzchen lebt.
    Am Neujahrsmorgen, nach dem Black Pudding, gab es im

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