Feuersteins Ersatzbuch
damit das Ganze auch Spaß machte, schüttete man sich mit Lebenswasser zu, uisge beatha auf Gälisch, das Stammwort für »Whisky«. Dieses Clan-Wesen, die Abschirmung in Familienverbände, hat sich bis heute erhalten. Auf der Hebrideninsel Skye zum Beispiel dominieren immer noch die Clans der McLeods und der McDonalds und beäugen sich gegenseitig voller Misstrauen. Während man in Frankreich McDonalds-Buden aus kulinarischen Gründen verwüstet, hätten sie hier in bestimmten Gegenden allein wegen ihres Namens nicht die geringste Chance. Ob das Wort »abschotten« davon herkommt? *
Dass aus dieser Sammlung von Eigenbrötlern, Sturköpfen und Exzentrikern überhaupt so was wie ein Volk werden konnte, geht allein auf den englischen Erbfeind zurück: Endlich jemand, der die wilden Kerle vom Nachbarschaftszank ablenkte und den sie gemeinsam hassen konnten. Edward I. war es, der im 13. Jahrhundert Schottland zur britischen Provinz erklärte, und seither reißt der Ärger nicht ab: 400 Jahre Kriege, Überfälle, Intrigen und blutige Abrechnungen der gar nicht feinen englischen Art, bei denen es schon mal vorkam, dass man die Leiche eines getöteten Feldherrn in Einzelteile zerlegte, um sie an möglichst vielen Orten des Landes gleichzeitig ausstellen zu können; und als dann 1707 das schottische Parlament in Edinburgh zum letzten Mal zusammentrat, um nach dem Staatsvertrag mit England Krone, Schwert und Zepter in leinene Tücher zu wickeln und »für alle Ewigkeit« wegzuschließen, folgten 300 Jahre Unzufriedenheit, Murren und Drohgebärden. Gelegentlich wurde auch ein Bömbchen gezündet, aber im Allgemeinen verhielten sich die Schotten wie ein Mieter, der sich zwar die Schikanen des Hausherrn nach außen hin gefallen lässt, aber jedes Mal heimlich einen Kratzer in sein Auto macht. Nur bei den Länderspielen gegen England greifen sie zur offenen Häme: Wann immer der Angriff gegen das englische Tor rollt, fliegen in der schottischen Kurve Schilder mit der Aufschrift »1314« hoch — das war das Jahr, als die Schotten zum letzten Mal eine Schlacht gewonnen hatten. Hach, was ärgern sich da die Engländer.
Aber was soll’s, »alle Ewigkeit« dauerte ohnehin nur bis zum Jahr 2000, denn seither haben die Schotten wieder ihr eigenes Parlament. Und gemeinsam mit England einen neuen Feind: den Euro. Ultranationalisten ist das natürlich zu wenig. Sie setzen ihren Störkrieg fort und richten neuerdings ihren vaterländischen Hass auf eine Institution, die wie keine andere die Niedertracht der Britenherrschaft symbolisiert, weil sie ihren Würgegriff bis ins kleinste Dorf erstreckt: die Post.
Als ich zuletzt in Edinburgh war, hielt sich dort zufällig auch die englische Königin auf (nein, wir haben uns nicht getroffen). Meine Frau wollte eine Postkarte einwerfen — ich betone »meine Frau«, damit alle Leute, die nie eine Postkarte von mir erhalten, auch wirklich wissen, dass ich nie eine schreibe —, doch waren sämtliche Briefkästen versiegelt mit dem Hinweis, man möge bitte alle Poststücke persönlich am Schalter aufgeben: wegen der fanatischen Superschotten, für die es zum Sport geworden ist, während des Besuchs der Königsfamilie Knallfrösche in die Briefkästen zu stecken. Wenn doch alle Terroristen so liebenswert harmlos wären...
Ich hatte zu Anfang eine Begründung für meine Schottland-Faszination angekündigt, bin aber gar nicht sicher, dass mir das gelungen ist. Vielleicht muss ich mich doch mit der schlichten Erklärung begnügen: Ich mag Schottland, und damit basta. Und auf alle Fälle fahre ich immer wieder gerne hin.
Einmal freilich bin ich in meiner Sympathie zu weit gegangen: Ende 1997, als ich in einem Anflug von Leichtsinn meiner Frau vorschlug, in Schottland Silvester zu verbringen. Auf Eriska, einer winzigen Inlandinsel im Westen, die für ihre Dachse berühmt ist und auf der es außerdem nur dieses alte Schloss gibt, liebevoll als Hotel geführt dank einer idealen Kombination in der Besitzerfamilie: der Vermählung von schottischem Landadel und amerikanischem Geld.
Die etwa dreißig Hotelgäste hätten jedem Kriminalroman von Agatha Christie zur Ehre gereicht: ältere Wissenschaftler und Privatdozenten, ein Oberst im Ruhestand, Edel-Pensionäre, ein Apotheker, eine ehemalige Bühnendiva, ein Dicker mit einem »Sir« vor dem Vornamen, eine blasse höhere Tochter, verschiedene Freiberufler und bestimmt auch ein Mörder darunter, sonst wären wir ja nicht auf einem schottischen Schloss.
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