Feuersteins Ersatzbuch
Feuerstein,
ich schreibe Ihnen schon aus Delhi, obwohl ich Ihnen eigentlich erst aus Rishikesh schreiben wollte, wo unser Wellnessurlaub beginnt. Der Grund: Ich musste heute einmal an Deutschland denken und einmal an Sie.
Zu Deutschland: Ist es nicht wunderbar, dass auch das indische Parlamentsviertel in Delhi übersät ist von Affen? Hunderte von ihnen sprinten rund um den Regierungspalast und spielen sich am Po herum. Wenn man ein Foto von ihnen machen will, lächeln sie. Unsere indische Begleiterin klärte uns auf, dass die Affen nur deshalb lächeln, weil sie erwarten, dass vorne aus dem Fotoapparat Nüsse fallen. Fallen keine Nüsse heraus, werden sie ungemütlich. Da wir keine Nüsse dabei hatten, sind wir noch ein wenig pfeifend die Straße entlang gelaufen und dann schnell in ein Taxi gesprungen.
Nun, lieber Feuerstein, zu Ihnen: Geht man nachts durch Delhi, ist man kontinuierlich von kleinen Männern umgeben, die einem irgendeinen Quatsch andrehen wollen. Um Ihnen zu erläutern, wie das nervt, habe ich mitgezählt: Hätte ich nicht exakt 48 Mal »No!« gerufen, wären meine Frau und ich jetzt Besitzer von 24 Miniatur-Backgammon-Spielen, sieben Bastschachteln, aus denen kleine Papierschlangen springen, vier Jahrespackungen mit weißen Briefumschlägen, sechs angekohlten Süßkartoffeln, die sicher die Amö-en-Ruhr transportieren, drei Packungen mit Gewürzmischungen, die man zwecks besserer Verdauung kauen und ausspucken soll und die dabei blutrote Flecken hinterlassen — sowie zwei unechten, vielmehr elektrischen Westhighland-Terriern, die mit dem Schwanz wedeln und »I Wish You a Merry Christmas« singen. Natürlich haben wir uns den Unsinn nicht andrehen lassen, wir sind ja nicht in Deutschland.
Da wir nun schon zwei Tage in Indien sind, machen Sie sich sicher Sorgen um unsere Gesundheit. Ich möchte Sie beruhigen: Die Emirates Airlines haben uns ohne eine Minute Verspätung von München nach Delhi transportiert. Der Service an Bord war hervorragend, und eisgekühlter Rotwein ist sicher eine Spezialität der Vereinigten Arabischen Emirate, auf die die nationale Fluglinie besonders stolz ist. Interessant war auch der Zwischenstopp in Dubai, sieht man davon ab, dass wir uns die Porsches im Duty-Free-Shop nicht leisten konnten.
Das Grand Hyattin Delhi hat erst seit einigen Wochen geöffnet, liegt klimatechnisch günstig etwas außerhalb des City-Smogs von Delhi und ist voller Personal, das sich so benimmt, wie man selbst zu Hause: Es ist ständig damit beschäftigt, Liebe und Zuspruch zu verteilen. Betritt man die Lobby, fragen einen umgehend und nacheinander bis zu zehn Männer und Frauen, ob das Zimmer in Ordnung sei, ob man nicht in den Pool wolle, ob man eine Massage brauche, oder einen Kuchen vom österreichischen Konditor, oder die druckfrische >Hindustan Times<, oder eine Reservierung für den Abend im Tandoori-Restaurant.
Zu Delhi: Mir war bisher nicht unbekannt, wie viele arme Menschen es in dieser Stadt gibt. Ich werde Ihnen davon aber nicht erzählen, weil Sie sonst dumme Witze über unser teures Hotel machen.
Berichten möchte ich Ihnen — bevor wir morgen nach Old Delhi aufbrechen — von den sensationell schönen Frauenskulpturen aus dem 6. bis n. Jahrhundert, die im Indischen Nationalmuseum ausgestellt sind. Dass die Inderinnen diese Schönheit plus einen eigentümlich wissenden Blick heute noch spazieren tragen, gehört mit Sicherheit zu den großen Vorteilen dieser anderen Welt.
Es grüßt Sie
Ihr G.
Köln, 10. November
Lieber G.
Schön, dass Sie gut angekommen sind. Hätte ich Ihnen nach der Jammerei in den ersten Briefen gar nicht zugetraut.
Zunächst zu den Affen. Da mache ich mir Vorwürfe, Sie vorher nicht gewarnt zu haben. Denn im Unterschied zu den niedlichen Spaßtierchen, wie wir sie aus dem Fernsehen kennen, sind die Profi-Affen, die sich vor den Touristenfallen als Fotomodelle anbieten, nichts als lästige, gefräßige und bösartige Sittenstrolche. Ich erinnere mich mit Schaudern an einen Vorfall vor gut einem Jahr in Birma, wo uns eine Affenhorde die Tempeltreppe runter jagte. Einer grinste besonders eklig und versuchte dauernd, meiner Frau in den Hintern zu kneifen. Das machen sonst nur Italiener im Bus.
Der Duty-Free-Shop von Dubai ist ein Ding, was? Da wundert mich, dass nur ein lächerlicher Porsche angeboten wurde. Eigentlich hatte ich erwartet, dass ein Airbus und ein französisches Renaissance-Schloss als Mitbringsel für die Rückreise nach Saudi-Arabien
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