Feuersteins Ersatzbuch
zehn Meter langen gekachelten Ganges. Am anderen Ende steht ein lächelnder Therapeut (alle lächeln hier, immer) mit einem Feuerwehrschlauch. Nun muss man sich an zwei Haltegriffen festhalten, denn der Strahl ist nicht nur heiß, sondern auch geeignet, Männer von zum Beispiel Ihrem Körperbau in Sekunden zu pulverisieren. Mir hingegen hat’s einfach gut getan, zumal endlich die letzten Reste der morgendlichen Einreibung mit der Seesalz-Rosenöl-Mischung entfernt wurden.
Wie Sie sich denken können, bin ich am Abend vor Erschöpfung in dem eigentlich exquisiten Restaurant des Ananda fast über meinem Chicken Tikka eingeschlafen. Doch dann überreichte mir der lächelnde Kellner zum Dessert Ihr von heitersten mitteleuropäischen Aggressionen leuchtendes Fax. Auch eine Form der Erleuchtung.
Den Vormittag nutzten wir übrigens zu einer atemberaubend schönen Wanderung bis auf 2000 Meter Höhe zum Kujapuri-Tempel, einem der heiligsten Orte Indiens. Auf dem Weg sind wir nicht nur zitronengelben Hummeln und vögelnden Affen begegnet, sondern auch kunterbunten Schulklassen, welche zwischen den Rapsfeldern ihre Lieder von den Tafeln lasen. Prompt ließ eine der Lehrerinnen vom Vermöbeln eines Kleinkindes mit dem Rohrstock ab und grüßte höflich.
Nach mehreren Stunden waren wir am Tempel angekommen, einem Ort heiliger Stille und ergreifender Fernsicht über die Himalaja-Kette. Dort begegnete uns ein weiteres Mysterium, nämlich ein lächelnder Hund, der mir nach eindringlicher Betrachtung umso weniger rätselhaft erschien, desto mehr, lieber Feuerstein, er mich an Sie erinnerte. Es war um seine Augen eine geheimnisvolle Traurigkeit, die Partie um die Lefzen hingegen von fast schon penetrant lächelnder Zuversicht. Übrigens geht hier die Sage, dass die Hunde nicht aus den Tempeln vertrieben werden dürfen, weil sie wiedergeborene Mönche seien, welche in ihrem ersten Leben zu wenig meditiert hätten. Macht Sie das nachdenklich? Ich denke schon.
Noch eine eher unerhebliche Frage: Wie ist das Vorweihnachtswetter bei Ihnen? Hier sind es immer so um die 25°C, so dass es wichtig ist, auch mal die Sonne Sonne sein zu lassen und sich im schönen Massagebad zwei starken Händen zu nähern.
Es grüßt Sie heiter und schon drei Kilo leichter
Ihr Gorkow
Köln, 19. November
Lieber G.,
die Frage nach dem Wetter zu Hause ist der verzweifelte Versuch des Urlaubers, sich zu trösten: Mir geht es zwar beschissen, aber wenigstens ist es hier warm. Nun denn, das Wetter in Deutschland ist erträglich. Auch wir haben hier 25 Grad, wenn auch nur in meinem Badezimmer. Draußen ist es kälter.
Aber Sie haben Recht: Was bei mir als liebevoller, mit leiser Ironie gewürzter Ratschlag abgeht, kommt nach digitaler Zerhackung und elektronischer Reise durch das Weltall bei Ihnen in Indien als aggressive Beschimpfung an, und so ist es wirklich nicht gemeint. Ich beneide Sie um die Reise in das Wunderland, wo auch der abgebrühteste Weltenbummler auf jedem Schritt Neuland betritt, auch innerlich. Nur zu gern möchte ich am Rand des Himalaja vom Nirwana träumen, statt vor einer roten Ampel in Köln zu grübeln, warum man sich von so einem lächerlichen Licht die Freiheit der Bewegung rauben lässt. Und so viel lieber möchte ich von einer heiligen Kuh gerammt als von den Sicherheitsfilzern am Münchner Flughafen angemufft werden. Wollen wir also zum Ende Ihrer Reise versuchen, netter miteinander umzugehen? Sie unterlassen es hinfort, darauf rumzuhacken, dass ich kleiner und zierlicher bin als Sie, nur weil Sie nicht verkraften können, dass die Frauen mehr auf mich stehen. Und ich bemühe mich im Gegenzug, Sie ernst zu nehmen.
Ich beneide Sie auch um die Wellness-Erfahrung, freilich mit einer Einschränkung: Ich finde es toll, den Körper gründlich zu verwöhnen, aber man sollte — wenn es nicht um eine gezielte Kur für ein bestimmtes Leiden geht — den therapeutischen Nutzen nicht überbetonen. Sonst kommt man verkrampfter raus als man reingeht. Eine übertriebene Erwartungshaltung ist der Feind der Entspannung, das wissen wir alle vom Sex.
Unsere Leitkultur hat uns von Kindheit an eingetrichtert, dass alles, was gesund ist, entweder scheußlich schmecken muss oder mit Quälerei verbunden ist, von Spinat bis Sport. Wellness soll eigentlich das Gegenteil sein: Das Wohlbefinden schlechthin, unerreichbar freilich für den Hypochonder, der ja das Gegenteil braucht. Sind Sie ein solcher?
Was Sie über den »Wasser-Öl-Dreiklang«
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