Feuersteins Ersatzbuch
besorgt wurde, nachträglich tausend Dank). Zur nächtlichen Stunde hatte er mich aus dem Bett geholt und durch den feuchtkalten Wald getrieben. Und als ich dann mit ansehen musste, wie er in fiebrig-zitternder Mordlust auf dem Hochsitz lauerte und plötzlich mit einem heiseren Lustschrei auf einen Rehbock feuerte, der in der Morgendämmerung froh und lebendig zwischen den Bäumen erschienen war, wurde mir todübel. Ich musste heulen und wünschte mir damals, es wäre umgekehrt: Der Rehbock säße oben bei mir, und gemeinsam würden wir meinen Vater erlegen.
Aber das ist mein privates Trauma, aus dem ich kein Werturteil schmieden möchte. Außerdem steht uns Europäern moralische Entrüstung in Sachen Tierschutz sowieso nicht gut an, wenn man an die Millionen sinnlos vernichteter Rinder beim letzten Seuchen-Medienrummel denkt. Trotzdem war ich voller Vorurteile bei dieser meiner ersten Begegnung mit einem Berufs-Großwildkiller: Was für ein Miesling mag das bloß sein?
Er war kein Miesling, trat weder protzig auf noch arrogant, hatte kein Sturmgewehr umgehängt, sondern eine schlichte, ärmlich wirkende Holzflinte, und trug weder Cowboystiefel noch Tropenhelm. Er wirkte bieder und sah eher aus wie ein Taxifahrer, was mich zunächst beruhigte, aber gleich danach furchtbar erschreckte. Denn stellen Sie sich vor, unsere Taxifahrer liefen alle mit einem Gewehr herum und hätten ein Buschmesser im Gürtel.
Es war gar nicht einfach gewesen, einen Profijäger vor die Kamera zu bekommen. Wir kassierten anfangs nur Ablehnungen, denn die Berufsgruppe ist klein, und so gut wie alle hatten schon ihre Erfahrungen mit Journalisten hinter sich, die sich erst kumpelhaft angenähert hatten, um sie dann als Tierquäler und Arten-Ausrotter in aller Welt bloßzustellen. Unser Mann übrigens auch, und es ist mir bis heute ein Rätsel, warum er sich mit uns eingelassen hat. Wahrscheinlich wegen der Kohle, weil gerade Saisonflaute war, und deshalb verschweige ich auch seinen Namen... aus Kollegialität, denn so was kenne ich von mir selber.
Ich begann unser Gespräch mit ein paar Schmeicheleien, die Standardmethode, um Eitelkeiten zu nähren und Schwätzer zum Reden zu bringen, um sich dabei selbst zu entlarven. Während das anderen bei mir selber immer ganz toll gelingt, verfing das bei ihm überhaupt nicht. Er antwortete leise und knapp, fast resignierend und ein bisschen gelangweilt, wie ein Jesuit im Gespräch mit dem Rabbiner: Ich würde ihn nie verstehen, und er würde gar nicht erst versuchen, mich zu bekehren.
Ich verstand ihn aber doch, auch wenn das Gespräch nicht vorankam. Ob er seinen Beruf liebt? »Er hat Vor- und Nachteile, wie jeder andere auch.« — Wie ist das mit dem Töten von Tieren? »Das besorgen meine Kunden.« — Was sind das für Typen? »Weiß ich nicht und geht mich auch nichts an.« — Ist er glücklich und zufrieden? »Eher selten.« — Unglücklich? »Nicht oft.« — Wie oft sieht er seine Familie? »Ich habe keine.«
Hier unten, in der glühend heißen, staubtrockenen Savanne, wo ein Stück Afrika gerade dabei ist, wegzubrechen und in den nächsten paar hunderttausend Jahren zur Insel zu werden, wie einst schon Madagaskar, war ein Einsamer am Werk, für den in der Menge kein Platz ist, ein Sonderling und Außenseiter, ein Sucher in der Wüste also, der ich ja ebenfalls zu sein glaube, auch wenn meine Wüste nicht aus Sand besteht, sondern aus Seelenstaub. Was soll man so einen fragen? Hätten wir ein Porträt über einen Großwildjäger gemacht, würden wir ihn jetzt schweigend durch die untergehende Sonne aus dem Bild wandern lassen, mit Musik von Gustav Mahler. Aber wir machten einen Unterhaltungsfilm.
Ich versuchte es trotzdem noch einmal: Wie denn das Verhältnis zu seiner Waffe sei? Ich dachte immer, ein Jäger hätte ein geradezu erotisches Verhältnis zu seinem Gewehr, das seine jedoch sehe eher schäbig aus, mit abgewetztem Lauf und sogar ein paar Sprüngen am Kolben. »Das sind keine Sprünge, sondern die Kratzer eines Leoparden, der mich von einem Baum angesprungen hat.« Da schwieg ich endgültig, und Stephan schaltete die Kamera ab. Wir wussten, dass dieses Gespräch für den Film unbrauchbar war. Ich bin einfach nicht abgehärtet genug für den Enthüllungsjournalismus...
Die Begegnung fand an der Südspitze des Lake Natron statt, eines Naturwunders am tiefsten Punkt des afrikanischen Grabens: ein Sodasee, der sich von der kenianischen Grenze vierzig Kilometer lang nach Tansania
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