Feuersteins Ersatzbuch
für mich der einzige Mordanschlag aller Reisefilme, der nicht von Wolpers verübt wurde.
Später gab es noch eine zweite Begegnung mit den Behörden, abermals auf dem Flughafen, als wir zu einem Kamerarundflug um die Insel aufbrechen wollten. Wir hatten bereits die Starterlaubnis und wollten gerade abheben, als wir per Funk zum Tower zurückbeordert wurden: keine Luftaufnahmen ohne amtliche Begleitung.
Da die kleine Cessna nur vier Plätze hatte, musste Wolpers wieder aussteigen, und ein ziemlich großkotziger junger Sicherheitsoffizier setzte sich auf seinen Platz. Er redete kein Wort mit uns, interessierte sich weder für Flugstrecke noch Filmerei — und wurde nur zunehmend blasser. Denn so ein Kameraflug hat es in sich: Die Tür wird ausgehängt, es geht ständig rauf und runter, man schrammt am Boden entlang, fliegt enge Steilkurven und muss sich an den Übergängen von Land zu Wasser immer wieder kräftig durchschütteln lassen. Als wir dann auf dem Boden waren, bewies uns der Bewacher, wie großkotzig er wirklich war: Er sprang aus der Maschine und übergab sich lang und heftig. Auch meine Schuhe kriegten was ab.
Die Schönheit der Altstadt von Sansibar (Insel und Hauptstadt haben den gleichen Namen) ist weltberühmt, und ihre Hafenfront gehört inzwischen zum Weltkulturerbe der UNESCO. Das hat den Vorteil, dass dort jedes Mauerstück erhalten bleibt und kunstvoll renoviert wird, aber auch den Nachteil, dass die Menschen, die früher hier wohnten, allesamt ausziehen mussten, weil die Mieten nicht mehr erschwinglich sind. Hier steht das Haus mit dem ersten elektrischen Aufzug des afrikanischen Kontinents (1883: vier Stockwerke hoch) und hier fand der kürzeste Krieg der Geschichte statt (1896: 38 Minuten, von 9.02 bis 9.40 Uhr; die Engländer gewannen). Und wenn Sie, im Unterschied zu mir, auf Freddy Mercury stehen, wird es Sie vielleicht interessieren, dass er hier geboren wurde (5. September 1964).
Noch etwas habe ich auf dieser Reise gelernt: dass die Zahnbürste keineswegs ein Kulturgut westlicher Hygiene ist, sondern aus Afrika stammt, wahrscheinlich von der Gewürzinsel Sansibar. Sie heißt M’swaki, wie der Baum, auf dem sie wächst (M’swaki salvadora persica). Man bricht ein Zweiglein davon ab, kaut so lange, bis ein Ende faserig wird, und poliert damit die Beißer; die dabei frei werdenden Wirkstoffe sorgen für gesundes Zahnfleisch, Wohlgeruch und blendendes Weiß, und wenn man die Bürste wegwirft, ist sie ein Stück Natur und braucht keinen »gelben Sack«.
Schon bei der Vorbereitung auf Sansibar war mir ein Oldie aus jungen Jahren in den Sinn gekommen, und während der ganzen Reise kroch seine Melodie als Ohrwurm unerbittlich durch alle meine Hirnwindungen. Vom Text weiß ich, wie das bei Ohrwürmern üblich ist, nur noch den Anfang: In der alten Hafenbar — auf der Insel Sansibar — hööört man — schwööört man — nur auf Johnny Boohoo ..., ein Schlager aus den fünfziger Jahren, bei dem es um einen verwegenen Klavierspieler ging, der die Herzen aller einheimischen Frauen entflammte,... wenn er in den Tasten wühlt und auf seinem Kasten spielt. Da ich damals in Salzburg Musik studierte, hatte ich in puncto Frauen das gleiche Ziel und konnte mich, obwohl ich sonst überhaupt nicht auf Schlager stehe, bestens mit Johnny identifizieren.
Ob es diesen Johnny Boohoo auf Sansibar wirklich gegeben hat? So abwegig ist diese Frage gar nicht. Den Amadeus von Falco gab’s ja auch in Echt, und das Traummädchen von Udo Jürgens, Siebzehn Jahr, blondes Haar, beruht ebenfalls auf einem lebendigen Vorbild, auch wenn das Original höchstens fünfzehn war, wie man das von Udo gewohnt ist.
Die Suche nach Johnny Boohoo wurde zum roten Faden für den Sansibar-Film. Ich befragte alle erdenklichen Leute, wühlte im Hinterzimmer einer Hafenbar selber in den Tasten eines uralten Klaviers, las sorgfältig alle Namen im Museum und suchte sogar den Friedhof ab, wo ich aber nur das Grab eines Harald Schmidt fand, leider des falschen. Von Johnny Boohoo aber gab es nirgendwo eine Spur. Dafür lernte ich Wolpers besser kennen.
Mit Godehard Wolpers hatte ich bereits in den Vorjahren mehrfach zu tun — darüber habe ich ausführlich in Feuersteins Reisen berichtet, im Kapitel mit dem treffenden Namen »Menschenopfer«. Der Sansibar-Film war aber unser erstes gemeinsames Projekt, die erste gemeinsame Reise. Zugegeben, Wolpers war auch damals schon streitsüchtig, frech und alles andere als nett, aber im
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