Feuersuende
sie ihren Unmut zurück. Der half auch nicht weiter und führte höchstens dazu, dass ihr noch mehr Fehler unterliefen.
Sie überlegte kurz, dann zog sie sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf und war erleichtert, als Dana ihrem Beispiel folgte. Nicht perfekt, aber besser als nichts.
Die Schwingungen von übernatürlichen Kräften, die Bryn alarmiert und aus dem Haus getrieben hatten, waren jetzt kaum noch zu spüren. Gut möglich, dass sie bewusst unterdrückt wurden.
Noch immer unter den Büschen verborgen spähte Bryn die Straße entlang in jeden einzelnen Vorgarten der Nachbarn. Nichts rührte sich. Dennoch konnte man den Atem der Verfolger spüren. Auch wenn die Bedrohung nicht zu sehen war, sie war da. Sie waren entdeckt. In der Unterwelt
Mein Leben würde ich für sie hingeben .
Dana, meine Tochter .
Ich habe mein Leben für sie hingegeben. Ich kann mich nur nicht mehr genau daran erinnern, wie und warum es geschah. Ich weiß noch, dass ich es zugelassen habe, dass mich jemand tötet, um das Leben meiner Tochter zu retten. Irgendwie ergibt das trotzdem keinen Sinn. Der Gedanke entgleitet mir und mit ihm alle anderen Gedanken und alle Hoffnung. Ich bin in der Ewigkeit gefangen .
Ich drifte durch einen Raum, der keiner ist. Hier ist das Nichts, das Nirgendwo. Ich habe weder Substanz noch Gestalt. Die größte Qual ist es, dass ich mich selbst verloren habe, aber doch immer wieder lichte Momente erlebe, in denen mir bewusst wird, was mir angetan wurde und was ich verloren habe. Diese Pein ist unbeschreiblich. Die Momente vergehen, und ich falle in die Erinnerungslosigkeit zurück .
Wer bin ich? Ich weiß es nicht. Panik ergreift mich .
Dann einen Augenblick später – oder mag es auch ein Jahrhundert später sein – kneife ich die Augen zusammen und starre geradeaus. Ich war so lange in der totalen Finsternis, dass ich vergessen habe, was das ist: Licht. Aber dort, dort ist ein winziges Loch in der Finsternis. Es ist so hell, dass es mich schmerzt. Nicht nur meine Augen, alles – meine Arme, Beine, mein Herz .
Jedoch führt mich der Schmerz ins Bewusstsein zurück. Eine Erinnerung streift mich. Ich habe Brüder, ich weiß, ich habe drei Brüder. Ich muss sie warnen, sie retten. Alles drängt mich dazu, doch dann verwirrt sich wieder alles in mir, und die Dunkelheit kehrt zurück .
Ich werde in einen Strudel von Schmerzen gezogen, und die Schmerzen bringen mich zurück. Ein ungeheurer Sog ergreift mich. Wie eine gigantische Saugpumpe zerrt es an allen meinen Gliedern. Wörter, fremde, verwirrende Wörter kommen mir in den Sinn. Ich höre mich sprechen, doch mir ist, als käme meine Stimme von weit her. „Mein Behüter, wache über meinen Körper. Lass nicht zu, dass er erschlagen wird, dass er auf ewig vernichtet wird.“
Heiße Spieße durchbohren mich. Messer schneiden mir ins Fleisch. Der Schmerz ist mehr, als ich ertragen kann. Ich werde zerrissen. Krallen und Widerhaken bohren sich in mein Gebein. Und doch ist die gänzliche Leere im Kopf noch viel schlimmer. Der Schmerz lässt immerhin einen Funken Verstand wieder aufglimmen. Ich greife nach dieser Folter, ich heiße sie willkommen, klammere mich daran. Denn das Bewusstsein, das sie mit sich führt, ist das Höchste, das ich erringen kann .
Erinnerungen fliegen mir zu wie leuchtende Funken, einzelne Bilder, Momentaufnahmen . Ich weiß jetzt, was ich bin. Ein Seelensammler, Sutekhs Sohn. Unsterblich. Ich kann nicht sterben .
Und doch bin ich tot. Ermordet. Von Sutekh, meinem Vater .
Meine Tochter schwebt in Gefahr. Für ihre Sicherheit steht nur ein heiliger Schwur meines Mörders .
Ich erblicke meine Hand – meine Hand! – und habe die Gewissheit, dass ich auf irgendeine Weise wieder Gestalt angenommen habe. Ich kann mir nur vorstellen, dass es meinen Brüdern gelungen sein muss, einen Weg zu finden, meinen Körper wieder mit meiner Seele zu vereinen. Aber wie? Ich weiß es nicht, und im Moment spielt das auch keine Rolle. Wenn ich die Faust balle, genieße ich das Gefühl, wie sich meine Nägel in die Handfläche graben .
Es gibt keine Worte für dieses Wechselbad der Gefühle. Erleichterung, Wut, Reue und noch tausend andere .
Ich lebe. Ich bin Lokan Krayl , und ich bin am Leben.
Wer von den Speisen der Toten isst, wird das Totenreich nie mehr verlassen können. Das war das eherne Gesetz. Also zwang Lokan sich dazu, den Blick starr geradeaus zu richten und an den Platten mit den Leckerbissen links und rechts vorbeizugehen. Was
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