Feuersuende
gab es nicht alles: Safranreis mit Sultaninen, eingelegte Lammkeule, zartes Gemüse.
Die Düfte, die ihn umschwebten, waren so verführerisch, dass er immer kurz davor war, stehen zu bleiben, sich hinzuknien und mit beiden Händen zuzulangen und sich das Essen in den Mund zu stopfen. Er war ausgehungert, als sei er von glühenden Eisen ausgehöhlt worden, die nichts weiter übrig gelassen hatten als eine leere Hülle.
Sein halb sterblicher, halb göttlicher Organismus verlangte nach einer unerhörten Zufuhr von Energie, und das war das Dilemma. Nahm er nichts zu sich, wurde er zusehends schwächer und hinfälliger. Bediente er sich dort, war das gleichbedeutend damit, die Tür, die aus dieser Hölle nach draußen führte, zu verschließen und den Schlüssel wegzuwerfen. Ein einziger Bissen, und er wäre auf ewig hier festgehalten, was auch immer dieses Hier war.
Die Speise der Toten. Das war doch der Hammer. Er konnte doch gar nicht sterben. Er war ein Seelensammler, Sutekhs Sohn.
Sutekh, Set, Seteh, Herrscher der Wüste, Herr des Chaos. Der mächtigste der Unterweltgötter. Er hatte so viele Namen. Der, den Lokan ihm gegeben hatte, war „Vater“ gewesen.
Und dann war er, der unsterbliche Lokan, hingeschlachtet und in Stücke gehauen und seine Seele in dieses Niemandsland zwischen Ober- und Unterwelt verbannt worden. Ein Gefängnis in vollkommener Leere, aus dem jeder Fluchtversuch scheitern musste.
Aber etwas hatte sich geändert. Irgendwie – und er vermutete, dass seine Brüder das bewirkt hatten – war sein Körper zu ihm zurückgekehrt. Er hatte wieder Form und Substanz angenommen. Gefangen war er trotzdem noch. Jedenfalls musste er das annehmen.
Er streckte die Hand aus und legte sie auf einen Stein. Er konnte die kalte, raue Oberfläche fühlen. Er wollte sich keiner Hoffnung hingeben, aber dennoch keimte sie in ihm auf. Vielleicht … vielleicht würde er doch noch den Weg hinaus finden.
Lokan drehte sich um und blickte den Gang hinunter, der ihm endlos schien. Endlos wie seine Zeit hier im Zwischenreich, indieser Todeszone, in der er hilflos umhertrieb, ohne zu wissen, wo er war oder wer er war. Er hatte sich selbst, seine Erinnerung und die Hoffnung verloren. Ihm war nichts geblieben als ein paar lichte Momente, die von nackter Verzweiflung begleitet waren und rasch wie Rauch im Wind wieder verflogen.
Jetzt mit seiner Körperlichkeit kehrten nach und nach auch Erinnerungen zurück. An seine Tochter, an seine Brüder, an Bryn. Sie waren unvollständig. Es gab noch viele blinde Flecken, verschwommene Bilder von Dingen, von denen er wusste, dass sie wichtig waren, die er aber vergessen hatte. Nur allmählich wurden seine Gedanken wieder klar.
Lokan erinnerte sich an den Namen und das Gesicht des Seelensammlers, der ihn getötet hatte. Und an das wahre Gesicht des Verräters, der hinter diesem Anschlag stand: Sutekh. Sein Vater. Sein Mörder.
Er wusste davon. Das konnte nur bedeuten, dass er nicht mehr vollständig in der Nicht-Welt gefangen war, dass er bereits einen Schritt aus diesem Gefängnis herausgetreten war. Langsam kamen Vergangenheit und Gegenwart zu ihm zurück. Das wichtigste Problem war nun, wie er die Zukunft meistern sollte.
Er musste seine Brüder vor Sutekhs Verrat warnen. Er musste in Erfahrung bringen, warum sein Vater das getan hatte. Und er brauchte einen Plan, wie er sich rächen konnte. Aber so weit war es noch nicht.
An erster Stelle stand zunächst einmal seine Tochter. Er hatte sein Leben gegen das Versprechen hingegeben, dass Dana nichts passierte, und das war ein Versprechen aus dem Munde seines Vaters, der keine Skrupel hatte, den eigenen Sohn zu ermorden. Auf dessen Wort konnte man also gewiss nicht zählen.
Also musste er zunächst dringend zusehen, dass er einen Weg hinauf in die Oberwelt fand. Solange er das nicht geschafft hatte, waren alle weiteren Anstrengungen bedeutungslos.
Lokan ging ein paar Schritte vorwärts, stolperte und musste sich an der Felswand abstützen, um sich aufrecht zu halten. Allesverschwamm vor seinen Augen. Stattdessen spukten die Platten mit den Leckereien in seinem Kopf herum. Verdammt, war er schwach, ein Schatten seiner selbst. Er musste mit seinen Kräften haushalten. Ein weiterer Grund, seine Rachegelüste gegen Sutekh noch eine Weile im Zaum zu halten.
Mit letzter Willenskraft setzte er einen Fuß vor den anderen, indem er sich zwang, die ihm dargebotenen Speisen zu ignorieren. Stattdessen richtete er den Blick auf die
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