Feuersuende
Und es hatte funktioniert. Roxy Tam war ihnen zu Hilfe gekommen. Auch sie hatte darauf gedrungen, niemanden sonst zu rufen als sie, und wie bei Lokan hatte es sich beinahe panisch angehört.
Am besten wäre es, überhaupt keine fremde Hilfe zu beanspruchen und einfach irgendwo in der Menge unterzutauchen. Aber das waren fromme Wünsche, und sich an Roxy zu wendenwar Bryn immer noch lieber, als ihre eigenen Leute um Unterstützung zu bitten. Deren Preis wäre zu hoch gewesen.
„Also nur Roxy“, wiederholte Bryn.
Dana nickte und gab einen Laut von sich, der wie ein unterdrücktes Schluchzen klang. Bryn brach es das Herz.
Die Anstrengung, die es kostete, die Abspaltung eines Teils ihrer Seele und damit ihre Tarnung aufrechtzuerhalten, wuchs mit jedem Augenblick. Bryn krümmte sich vor Schmerz, von dem sie buchstäblich entzweigerissen wurde. Der Trick, ihn auszuhalten, war, sich von ihm forttragen, ihn gewähren zu lassen und nicht dagegen anzugehen. Leichter gesagt als getan.
Ringsherum nahmen die Schwingungen übernatürlicher Kräfte jetzt zu. Sie kamen näher. Bryn konnte nicht erkennen, von wem sie ausgingen oder welcher Art diese Kräfte waren. So weit ging ihre Wahrnehmungsfähigkeit nicht. Sie wusste nur, dass diese Bedrohung nicht von Sterblichen ausging. Und das machte die Lage gefährlich.
„Wir müssen weiter“, flüsterte sie von Panik und Schmerzen getrieben.
Danas kleine Hand klammerte sich krampfhaft an sie. Dennoch nickte das Mädchen tapfer, viel tapferer, als eine Sechsjährige sein sollte.
„Komm.“ Bryn fasste Danas Hand fester und sprintete los. Ihre Tochter folgte ihr. Sie duckten sich unter tief hängenden Ästen und hielten sich im Schatten der Bäume.
Bryns Qualen nahmen weiter stetig zu. Es fühlte sich an, als ob jemand in ihrem Bauch ein Messer umdrehte. Dennoch zwang sie sich dazu, die Abspaltung ihrer Seele aufrechtzuerhalten, um den schützenden Schild zu wahren. Währenddessen kam das bedrohliche Knistern in der Luft immer näher.
Dana stolperte und schrie auf. Bryn nahm das Kind auf die Arme, hielt es eng an sich gedrückt fest und setzte schwer atmend den Weg fort. Wie mit Hammerschlägen pochte ihr das Herz in der Brust.
Zur Linken konnte sie jetzt zwischen den Baumstämmenhindurch Licht und die Dächer einiger Autos schimmern sehen, die auf dem angrenzenden Parkplatz standen. Sie hatten ihr Ziel fast erreicht. Nur noch den Hügel hinauf, auf der anderen Seite wieder hinunter und über den Zaun, dann waren sie auf dem Parkplatz des Bodyshops. Ihr Wagen stand in einer Ecke nahe der Ausfahrt. Das war zu schaffen. Das musste sie schaffen.
Dana hatte sich an sie geklammert wie ein Äffchen. Wenn ihre Verfolger Dämonen waren, konnte das Salz, das Bryn in einem Ring um den Parkplatz vergraben hatte, sie aufhalten, sobald sie es mit ihrem Blut benetzte. Wenn es jedoch keine waren, nützte das überhaupt nichts.
Bryn nahm die Anhöhe erfolgreich mit Anlauf. Aber das Gras unter ihren Füßen war rutschig, und als es wieder abwärts ging, glitt sie aus und fiel. Sie konnte sich gerade noch zur Seite drehen, damit Dana durch den Sturz keinen Schaden nahm, und um ein Haar hätte sie dabei die Kontrolle über ihre Zweiteilung verloren, womit ihr Schutz dahin gewesen wäre.
Mit verzweifelter Anstrengung bemühte sich Bryn, wieder aufzustehen, aber der schlüpfrige Untergrund und Danas Gewicht hinderten sie daran. Schließlich gab sie die Versuche auf und rutschte auf dem Hintern den Hügel hinunter, indem sie mit den Hacken bremste.
Der Schreck und die schmerzhafte Landung nach dem Sturz waren zu viel. Bryn konnte die Spannung nicht mehr halten. Wie von einem Gummiband gezogen schnappte ihre Seele in den Körper zurück. Ihre schützende Hülle war dahin. Jetzt half nur noch die Flucht. Noch einmal versuchte sie, auf die Füße zu kommen, schaffte es auch halbwegs, fiel dann aber wieder und rollte den Rest der Böschung hinunter, bis sie an ein Paar Bikerstiefel stieß, die sie stoppten.
Im selben Augenblick wusste Bryn, dass sie die Falschen in Verdacht gehabt hatte. Die Verfolgungsjagd hatte zwar Dana gegolten. Aber nicht weil sie Lokans Tochter, sondern weil sie ihre Tochter war. Die Unterwelt In einer wogenden, sich umeinander windenden Masse umrahmten die Schlangen die erste Pforte. Ihr Zischen hallte im Tunnelgewölbe wider, sodass die Ruderer zusehends nervöser wurden. Der Vordere drehte sich zu Lokan um. Seine Augen waren weiß und glatt wie polierter Marmor. „Wir
Weitere Kostenlose Bücher