Feuertanz
inzwischen verkauft. Und als ich mir die Räumlichkeiten mit dem neuen Besitzer noch einmal genau angesehen habe, musste ich an Ihre Frage denken. Also, ob irgendetwas auffällig gewesen sei. Besonders unordentlich oder so. Als Sie mich gefragt haben, fiel mir nichts ein, weil ich nur an das Wohnhaus gedacht habe. Dort war es ja überall recht schmutzig. Dann bin ich aber mit dem neuen Eigentümer durch den Stall gegangen. Sie wissen doch, dass er mal an eine Reitschule vermietet war?«
»Ja, das weiß ich.«
»Die Reitschule hatte den Stall einige Jahre lang von der Alten gemietet gehabt, aber dann kündigten sie.«
»Ja, sie bauten selbst, habe ich mir sagen lassen.«
»Genau. Das war vor etwa zwei Jahren. Das geht aus den Papieren hervor, die ich durchgesehen habe. Im Stall hatte die Reitschule eine Umkleide und ein Büro. Beides stand jetzt also eine ganze Weile leer. Als ich mit dem neuen Besitzer den Stall besichtigt habe, fiel mir auf, dass das Büro unnatürlich sauber war.«
»Unnatürlich sauber?«, wiederholte Irene.
»Ja. Man kann fast vom Fußboden essen. Da liegt nicht mal ’ne tote Fliege. Die Toilette ist blitzsauber, und das Wasser im Ablauf ist nicht verdunstet, und …«
»Können Sie mir und einem Kriminaltechniker heute den Stall aufschließen?«
Irene hörte selbst, wie angespannt ihre Stimme klang. Sie hatte Witterung aufgenommen.
»Klar. Aber erst nach eins. Am Vormittag habe ich Besichtigungstermine.«
»Nach eins ist okay. Danke für Ihren Anruf.«
Tommy sah Irene, die plötzlich voll neuer Energie schien, fragend an. Sie lächelte ihn an und sagte: »Hol noch mal Kaffee. Das hier wird eine Weile dauern. Im Übrigen können wir gleich zu Sven reingehen, dann muss ich es nicht zweimal erzählen.«
Schwester Ulla schloss die Tür zu Ingrid Hagbergs Wohnung auf. Der Geruch eines alten, kranken Menschen schlug ihnen entgegen, genau wie beim ersten Mal, als Irene die Diele betreten hatte. Als sie ihren Kopf rasch in das winzige Schlafzimmer streckte, meinte sie, einen schwachen Ammoniakgeruch wahrzunehmen, den sie sich nicht erklären konnte. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung.
Mitten auf dem Küchentisch stand eine offene Pralinenschachtel, die abgesehen von dem Zellophaneinsatz für die Nougatpralinen leer war. Auf dem Deckel war ein Paar in Frack und Ballkleid abgebildet, das Walzer tanzte. Wiener Walzer. Wienernougat. Süßere Pralinen gab es nicht. Und sie ließen sich offenbar rasch essen, denn um den Karton herum lagen die weißen Schokopapierchen verstreut. Kein Krümel war übrig geblieben. Ingrid hatte alles aufgegessen. Recht unbekömmlich für eine Person mit schwerer Diabetes. Vor allem, wenn sie alles auf einmal verdrückt hatte.
»Ich begreife nicht, wer ihr die Pralinen geschenkt hat«, sagte Schwester Ulla entrüstet.
Irene hatte den Eindruck, die Schwester werfe ihr einen misstrauischen Blick zu, aber vielleicht war das ja auch nur Einbildung.
»Hatte sie gestern Besuch?«, fragte Irene.
»Soweit ich weiß, nicht. Ingrid ist recht einsam. Ich habe den Eindruck, dass sie nur selten Besuch bekommt. Eigentlich ist da nur dieser Junge, den sieht man manchmal«, antwortete Schwester Ulla und deutete auf das Abiturfoto von Frej, das auf der Anrichte stand.
Vorsichtig legte Svante Malm die leere Pralinenschachtel und die Einwickelpapierchen in eine große Plastiktüte. Er trug einen Schutzanzug, um nichts zu kontaminieren, während er das Zimmer nach Spuren absuchte. Irene und Schwester Ulla trugen Papierhauben und Schuhschutz. Sie hatten die strenge Anweisung erhalten, in der Wohnung nichts anzufassen und sich sehr vorsichtig zu bewegen.
»Sie scheint die Pralinenschachtel nicht per Post erhalten zu haben«, war Svantes Stimme gedämpft zu vernehmen – er hatte seinen Kopf gerade in den Schrank unter der Spüle gesteckt.
»Im Müll lag kein großer Umschlag, dafür aber das hier«, sagte er und hielt eine Plastiktüte aus einem Zeitungskiosk hoch. In der Nähe des Seniorenheims Glückshügel gab es keinen Zeitungskiosk. Das konnte nur bedeuten, dass Ingrid Hagberg am Vortag doch Besuch erhalten hatte.
Die Befragung von Ingrid Hagbergs Nachbarn ergab nichts. Niemand hatte etwas gehört oder eine Person bemerkt, die sie möglicherweise besucht hatte. Die Nachbarn schienen keinen näheren Kontakt zu Ingrid Hagberg gehabt zu haben. Ihre nächste Nachbarin war eine winzige Dame, die triumphierend erzählte, dass sie in genau einem Monat ihren 94.
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