Fever Pitch
wäre? Wäre das Spiel in Arsenal 0:0 ausgegangen, so wie das bei Spielen Arsenal gegen Newcastle vorher immer der Fall gewesen war? Wären wir dann in der Folge zum Gewinn des Ligatitels weitermarschiert? Ich bezweifle es.
Eine andere Stadt
Chelsea gegen Tottenham – Januar 1972
Es stimmt, wenn man sagt, daß mein Vater nach Stamford Bridge gehörte, während ich ein geborener Arsenalanhänger war – genauso wie mein Team war auch ich oft mürrisch, defensiv, streitlustig und verklemmt. Chelsea war extravagant, unberechenbar und, es muß gesagt werden, nicht das allerverläßlichste Team. Mein Vater hatte eine Vorliebe für pinkfarbene Hemden und theatralische Krawatten, und ich glaube, ich als strenger Moralist war der Ansicht, daß ihm ein wenig mehr Beständigkeit gut zu Gesicht gestanden hätte. (Elternschaft, würde George Graham sagen, ist ein Marathon, kein Sprint.) Dad genoß es offenkundig mehr, zu Chelsea zu gehen, als mit mir Ausflüge nach Highbury zu unternehmen, und es war leicht zu erkennen warum. Einmal sahen wir Tommy Steele (oder vielleicht war es auch John Alderton) aus der Herrentoilette in Chelseas Nordtribüne kommen, und vor den Spielen aßen wir in einem italienischen Restaurant auf der King’s Road. Im Chelsea Shop kaufte ich das zweite Album von Led Zeppelin und beschnupperte argwöhnisch den Zigarettenrauch, der in der Luft hing. (Ich war ungefähr so unbedarft wie Arsenals Vorstopper.)
Chelsea hatte Osgood, Cooke und Hudson, alles protzende Könner, und ihre Version von Fußball war verblüffend anders als die von Arsenal (dieses Halbfinale im Ligapokal, eines der besten Spiele, das ich je gesehen hatte, endete 2:2). Wichtiger aber war, daß Chelseas Stadion und seine Umgebung mir eine andersartige und doch vertraute Version von London vermittelten. Vertraut, weil der Vorstadtjunge aus der Mittelschicht sich ihrer schon immer bewußt gewesen war. Sie war dem London nicht unähnlich, das wir bereits von Ausflügen zu Pantomimen, Filmen und Museen kannten, einem geschäftigen, Helle-Lichterder-Großstadt-London, dem im höchsten Maße bewußt war, daß es der Nabel der Welt war. Und die Leute, die ich in jenen Tagen bei Chelsea sah, waren Nabel-der-Welt-Leute. Fußball war in Mode, Chelsea war in Mode, und die Mannequins, Schauspieler und jungen leitenden Angestellten, die die Blauen anfeuerten, waren nett anzusehen und machten die Bridge (zumindest die Sitzplätze) zu einem auf erlesene Weise exotischen Ort.
Doch das war es nicht, was mich am Fußball interessierte. Arsenal und seine Nachbarschaft waren für mich viel exotischer als alles, was ich je in der Gegend um die King’s Road sehen konnte, die voll von gähnend langweiligem Glamour und Glitter war. Fußball hatte mich aufgrund seines Andersseins ergriffen. All jene ruhigen Straßen mit Reihenhäusern in der Gegend um Highbury und Finsbury Park, all jene verbitterten und doch eigentümlich loyalen Gebrauchtwagenverkäufer … ja, das war wirkliche Exotik, das war das London, das ein Gymnasiast aus dem Themsetal niemals kennenlernen konnte, egal wie oft er ins Casino-Kino ging, um Filme im Breitwandformat zu sehen. Wir wollten unterschiedliche Dinge, mein Dad und ich. Gerade als er anfing, einen Teil von dem zu begehren, worum Chelsea sich drehte (und zum ersten Mal in seinem Leben war er auch in der Lage, es sich zu leisten), wollte ich in die andere Richtung losstürmen.
Ein Junge aus Islington
Reading gegen Arsenal – 5.2.72
Die weißen Männer und Frauen der Mittelschicht im Süden Englands sind die entwurzeltsten Geschöpfe dieser Erde, wir würden lieber zu jeder anderen Gemeinschaft dieser Welt gehören. Menschen aus Yorkshire oder Lancaster, Schotten, Iren, Schwarze, die Reichen, die Armen, selbst Amerikaner und Australier haben etwas, weswegen sie sich in Pubs und Bars setzen und worüber sie weinen können, sie singen bestimmte Lieder und haben Gegenstände, die sie ergreifen und heftig drücken können, wenn ihnen danach ist. Wir dagegen haben nichts, zumindest nichts, woran uns etwas liegt. Daher das Phänomen der Pseudozugehörigkeit, bei dem Vergangenheit und Hintergrund konstruiert und zurechtgebogen werden, um eine Art von akzeptabler, kultureller Identität zu erzeugen. Wer war es, der I WANNA BE BLACK gesungen hat? Der Titel sagt alles, und jedermann hat Menschen getroffen, für die das wirklich zutraf. Mitte der siebziger Jahre begannen junge, intelligente und ansonsten selbstbewußte weiße
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